El Salvador wagt die Entmachtung des Militärs

Einen Tag vor dem offiziellen Waffenstillstand herrscht Aufbruchstimmung in dem mittelamerikanischen Land/ Die Leute reden von Zukunft und Frieden, aber einen Militärputsch mag trotz des breiten Konsenses noch niemand ausschließen  ■ Aus El Salvador Thomas Schmid

Bis zu einer Million Dollar täglich ließen sich die Vereinigten Staaten zeitweise den Krieg in El Salvador kosten, um die in der „Nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti“ (FMLN) zusammengeschlossene Guerilla kleinzukriegen. Am vergangenen Samstag nun flog der US- Botschafter in dem mittelamerikanischen Staat, William Walker, der eigentliche Präsident des Landes, wie böse Zungen behaupten, höchstpersönlich in einem Hubschrauber der US-Army in ein Guerillacamp — mit einer Flasche Whiskey, Marke Johnny Walker. Während er mit FMLN-Kommandant Raul Hercules anstieß, ließen sich seine Leibwächter mit hübschen Guerilleras ablichten. Nach zweistündigem Plausch begleitete der Kommandant den Gast artig zur Flugmaschine.

Die Szene spielte sich am Fuß des Guazapa ab, etwa 25 Kilometer nördlich von San Salvador. Elf Jahre lang hatte die Armee vergeblich versucht, die Guerilla vom Vulkan zu vertreiben. Als sie im Januar 1986 mit der Operation Phönix, benannt nach der US-Strategie in Vietnam, den Berg wochenlang bombardierte und alle Häuser und Anpflanzungen niederbrannte, suchten zwar die etwa 10.000 Bauern, die am Fuß des Vulkans wohnen, das Weite, die Aufständischen aber hatten sich in einem selbst angelegten Tunnelsystem verschanzt. „Es war die Zeit, als wir Gras aßen“, erinnert sich Kommandant Chano Guevara. Heute flattern Hühner in seinem Camp, und neben der Hängematte, in der lässig ein Guerillero samt Kalaschnikow schaukelt, grunzt ein Schwein.

Seit dem Abschluß des Friedensabkommens, das bereits eingehalten wird, aber erst morgen förmlich in Kraft tritt, herrscht Aufbruchstimmung im Land. Wenn man in den Bergen im Norden des Landes nicht immer wieder auf ausgebombte, völlig zerstörte Dörfer und Gehöfte treffen würde, könnte man sich kaum vorstellen, daß hier je Krieg geherrscht hat. Die Leute reden von der Zukunft, vom Frieden, den es jetzt „aufzubauen“ gelte. Und die Guerilleros, deren Losung jahrelang „Revolution oder Tod“ hieß, nehmen heute wie selbstverständlich hin, daß es auch noch etwas dazwischen gibt.

Ein überflüssiger Krieg, möchte man meinen, wie alle Kriege eben. Im nachhinein, von der Warte des unbeteiligten Beobachters aus, ein billiges Urteil. Doch wenn man sich in Cinquera zum Beispiel, vor der Kirchenruine, dort wo zum Andenken an schlimmere Zeiten eine nicht detonierte 500-Pfund-Bombe — Spitze nach oben — aufgepflanzt ist, auf ein Gespräch mit den Frauen einläßt, sieht es schon anders aus. Erst im vergangenen Februar, oft nach jahrelangem Exil in Honduras, sind die Frauer wieder hierher zurückgekehrt. Die meisten von ihnen sind gar nicht vor dem Krieg geflohen, sondern schon vorher, vor der Repression einer Soldateska, die auf dem Land jede soziale Bewegung gnadenlos niedermachte. Hier war unter dem Einfluß christlicher Basisgemeinden in den 70er Jahren eine starke Bauernbewegung entstanden.

Nach dem Putsch reformfreudiger Offiziere 1979, die sich letztlich gegen die militärischen Hardliner doch nicht durchsetzen konnten, nahm die Repression auch in den Städten ungeahnte Ausmaße an. Jeden Tag tauchten in den Straßengräben von Todesschwadronen übel zugerichtete Leichen auf. Die Führer der linken Oppositionsallianz wurden bis auf einen, der zu spät zum anberaumten Treffen erschien, allesamt niedergemetzelt. Selbst der Erzbischof von San Salvador, Arnulfo Romero, war öffentlich zu dem Schluß gekommen, daß dem Volk nur noch der legitime bewaffnete Aufstand bleibe. Das Porträt des kurz danach am Altar erschossenen Würdenträgers hängt heute tausendfach in San Salvador.

In dieser Situation, wo jeder zivile politische Protest einem Todesurteil gleichkam — selbst auf den stillen Trauerzug für Romeros Begräbnis wurde das Feuer eröffnet —, war der Griff zu den Waffen und der Rückzug in die Berge naheliegend. Ironie der Geschichte: In der damals geltenden Verfassung ist für den Fall, daß das Volk seine souveränen Rechte nicht ausüben kann, ausdrücklich vom Recht und sogar von der Pflicht des Volkes zum Aufstand die Rede. Doch als die Guerilla, die nun massiv Zulauf aus dem linken politischen Lager erhielt, im Januar 1981 losschlug, war es zu spät. Der erhoffte Volksaufstand blieb aus. Die Repression hatte die Massen gelähmt. Der Krieg begann.

Eine ganze Reihe von Faktoren hat den Friedensabschluß schließlich möglich gemacht. Die Guerilla gab ihre ursprünglich sektiererischen Positionen immer mehr auf und fand zu einer erstaunlich flexiblen Haltung. Nach der Wahl 1989 wurde zwar der rechtsextreme Cristiani Präsident. Doch war er anders als sein christdemokratischer Vorgänger Duarte als moderner Unternehmer pragmatisch genug, nicht das Unmögliche, die Niederlage der FMLN, zu wollen. Die Offensive der FMLN vom November 1989, als die Guerilla in die Hauptstadt eindrang und dort sogar zwei Tage lang das Sheraton-Hotel besetzte, mag ihn zur Räson gebracht haben. Vor allem führten der Zusammenbruch des osteuropäischen Kommunismus und das Ende einer bipolaren Welt die Wende in El Salvador herbei. Die USA hatten nun kein Interesse mehr, den teuren Krieg zu finanzieren.

In dem ehemaligen Hotel Sheraton sitzen jetzt seit einer Woche Comandante Leonel Gonzalez und die fünf wichtigsten Militärkommandanten der FMLN Salvador mit Vertretern des Generalstabs und dem Leiter der UNO-Friedenstruppen zusammen und diskutieren die Details der Truppenkonzentrationen nach Beginn des Waffenstillstands.

Daß die Rebellenfront der bestimmende Faktor des politischen Lebens sein wird, ist allen klar. Auch die vorwiegend konservativen Privatunternehmer stellen sich darauf ein. Im Verband der Werbeagenturen wurde diskutiert, wie Aufträge der FMLN zu behandeln seien. Keiner hielt es für richtig, die neuen Teilnehmer im legalen politischen Leben zu boykottieren: Geschäft ist Geschäft.

Gemessen an ihren ursprünglichen revolutionären Zielen hat die Guerilla jedoch wenig erreicht. Die alten herrschenden Klassen herrschen weiter. Vorerst jedenfalls. Doch hat das Friedensabkommen von Mexiko die Grundlage für die Reformierung der Gesellschaft auf politischem Weg geschaffen. Jedesmal, wenn in den letzten 60 Jahren die Vorherrschaft der traditionellen Oligarchie in Frage gestellt war, wurde geputscht oder wie 1972 und 1977 die Linke um ihren Wahlsieg betrogen. Die Unterordnung der Militärs unter die zivile Gewalt, die Beschränkung ihrer Rolle auf die Verteidigung der nationalen Souveränität, eine neue Militärdoktrin, die die von den USA nach dem Sieg der kubanischen Revolution in ganz Lateinamerika eingeführte Doktrin der nationalen Sicherheit ablöst, die Säuberung der Armee, die Auflösung des von keiner zivilen Instanz kontrollierten Geheimdienstes, die Abschaffung der paramilitärischen Polizeiverbände und die Bildung einer neuen zivilen Polizei, die nicht mehr dem Verteidigungsministerium untersteht, sind denn auch die wichtigsten Konzessionen, die das Regime der Guerilla machen mußte. Morgen wird in San Salvador offiziell die „Kommission für die Konsolidierung des Friedens“ (Copaz) konstituiert. In ihr werden zwei Vertreter der Regierung, zwei der FMLN und je einer der sechs parlamentarischen Parteien vertreten sein. Ihre Aufgabe ist es, im Rahmen des Friedensabkommens Ausführungsgesetze auszuarbeiten und die Umsetzung der Vereinbarungen zu überwachen. Angesichts des breiten Konsenses und des starken Engagements der UNO, der beide Kriegsparteien weitgehende Kontrollbefugnisse während der neun Monate vom Waffenstillstand bis zur Auflösung der Guerilla eingeräumt haben, stehen die Chancen für El Salvador nicht schlecht. Einen Militärputsch mag hier angesichts der vereinbarten Entmachtung der Armee und ihrer Halbierung allerdings niemand ausschließen. Wird das Friedensabkommen hingegen verwirklicht, hätte sich erstmals in der leidvollen, von Gewalt und Terror gezeichneten Geschichte des kleinsten mittelamerikanischen Landes die zivile Gesellschaft gegenüber der Arroganz der militärischen Kaste behauptet. Der FMLN käme dann objektiv das historische Verdienst zu, über elf Jahre Krieg, gegen ihren ursprünglichen Willen, El Salvador von den politischen Strukturen einer Bananenrepublik befreit und zu einem modernen demokratischen Staat gemacht zu haben. Den Überresten der Waffen der Guerilla, die am 31. Oktober unter internationaler Aufsicht zerstört werden, würde dann ein Ehrenplatz im nationalen historischen Museum gebühren. Mitarbeit: Ralf Leonhard