In Tibet wird weiter gefoltert

Berlin (taz) — Während sich der chinesische Premierminister Li Peng dieser Tage in Europa und New York über das Ende der internationalen Isolation seiner Regierung beglückwünscht, wird in China und Tibet weiterhin systematisch gefoltert.

Die Anwendung von Folter und Mißhandlungen, erklärt amnesty international (ai) in ihrem neuesten Tibet-Bericht, geschieht in den meisten Fällen, um bereits vor Gerichtsverfahren Geständnisse von Verhafteten zu erhalten oder sie zu zwingen, andere zu denunzieren. Diese Praxis ist in Tibet ebenso wie in China weitverbreitet. Ein Beispiel: Die 24jährige Somam Dolkar, die im vergangenen Frühjahr aus einem tibetischen Krankenhaus flüchten und sich ins Ausland retten konnte, war seit Ende Juli 1990 zehn Monate ohne Anklage oder Prozeß in Haft. Monatelang wurde sie jeden zweiten Tag mit Elektroschocks gefoltert, bis sie ohnmächtig zusammenbrach. Während ihrer gesamten Gefangenschaft wurde sie — an Händen und Füßen gefesselt — in einer fensterlosen Zelle isoliert.

Mindestens hundert politische Gefangene sind nach Informationen von ai gegenwärtig in Haft, zur Arbeitslager verurteilt oder ohne Gerichtsverfahren zur „Umerziehung durch Arbeit“ gezwungen. Dazu gehören buddhistische Mönche und Nonnen ebenso wie TibeterInnen, die verdächtigt werden, die Unabhängigkeit Tibets zu unterstützen. Allein im Dezember 1991 wurden zweihundert TibeterInnen wegen angeblicher Pro-Unabhängigkeitsaktivitäten festgenommen.

Der Tibet-Bericht der Menschenrechtsorganisation wurde vergangene Woche zeitgleich zur gegenwärtigen Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf veröffentlicht. Die Kommission hat allerdings die Behandlung Tibets bei der diesjährigen Sitzung abgelehnt.

Auch der am Wochenende vorgestellte Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums hebt die andauernde Repression in China und Tibet — neben Staaten wie Haiti, Irak und Kuwait — hervor.

Die chinesische Regierung reagiert auf alle Vorhaltungen bezüglich der dramatischen Lage der Menschenrechte in Tibet — ebenso wie in China — allergisch. Eine von der UN-Minderheitenschutzkommission im August 1991 verabschiedete Tibet-Resolution wies das Regime als „null und nichtig und völlig inakzeptabel“ zurück. Ausländische Politiker, wie jüngst die bundesdeutsche Parlamentarierdelegation unter Leitung von Bundestagsvizepräsident Hans Klein, die das Thema Menschenrechte in China anschneiden, werden meist rüde zurechtgewiesen: Dies sei eine unerwünschte „Einmischung in innere Angelegenheiten“, überdies seien „westliche Menschenrechtskonzepte“ mit den chinesischen Gegebenheiten eben unvereinbar. li