Was eigentlich ist Makedonien?

■ Griechenland warnt vor einer internationalen Anerkennung der bisherigen jugoslawischen Teilrepublik/ Italien will diplomatische Beziehungen nach Skopje aufnehmen, Bonn zögert noch

Berlin (taz) — Landschaft oder Staat? Die Frage, was das balkanische Makedonien heute eigentlich ist, wird die Europäische Gemeinschaft noch eine Weile beschäftigen. Dafür sorgt vor allem die Regierung in Athen, die auf keinen Fall einen Staat namens Makedonien in ihrem Norden dulden will.

Innenpolitisch hat das Thema selbst die jahrelang zerstrittenen griechischen Konservativen und Sozialisten wieder zueinander gebracht. Jetzt rückt die „makedonische Frage“ auch außenpolitisch in den Mittelpunkt. Griechenlands Außenminister Antonis Samaras erklärt in einem Schreiben an seine elf Amtskollegen in der EG: Eine Anerkennung der bisherigen jugoslawischen Teilrepublik als unabhängige Republik wäre eine „Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Südosteuropa“. Heute wollen die zwölf Außenminister in Brüssel eine gemeinsame Marschroute beraten.

Seit die fünf europäischen Verfassungsrichter der EG-Schiedskommission Mitte Januar feststellten, die bisherige jugoslawische Teilrepublik erfülle alle Bedingungen für eine staatliche Anerkennung, fühlt sich die Regierung in Athen von ihren europäischen Partnern zunehmend mißverstanden und isoliert. Und jetzt stehen einige EG-Länder offenbar kurz vor der Anerkennung Makedoniens — allen voran Italien. Bereits Mitte Januar hatte der frühere Vertreter Makedoniens im jugoslawischen Staatspräsidium, Vasil Tupurkovski, behauptet, sein „Freund, der italienische Außenminister Gianni De Michelis“, habe ihm telefonisch zugesichert, Italien wolle den neuen Staat anerkennen.

Auf den Affront reagierte die griechische Regierung, auf deren Territorium heute die meisten Makedonier leben, höchst empfindlich. Makedonien, so belehrte sie die EG-Europäer, sei ein geographischer, nicht jedoch ein nationaler Begriff. Die Landschaft sei auf drei Staaten verteilt: Griechenland (52 Prozent), Jugoslawien (38 Prozent) und Bulgarien (10 Prozent). Eine einheitliche Nation Makedonien gebe es nicht. Die „Politiker von Skopje“ hätten Begriff „politisch mißbraucht“. Das mache ihre eindeutig „expansionistischen Absichten“ deutlich, die auch die nordgriechische Region Makedonien mit einbezögen, die in Skopje fälschlicherweise „Ägäisch-Makedonien“ genannt würde.

Vorsichtshalber vergibt Griechenland schon seit einigen Wochen keine Einreisevisa mehr an Bewerber, die als Nationalität „makedonisch“ angeben. Versicherungen aus Skopje, ihr kleines Makedonien könne den großen Nachbarn im Süden überhaupt nicht gefährden, beruhigten die Griechen nicht. Sie fürchten nicht nur die hegemonialen Absichten eines von der EG anerkannten Makedoniens. Sie zittern auch davor, daß Griechenland sich in nicht allzu ferner Zukunft im Klammergriff eines antihellenischen — und moslemischen — Bündnisses wiederfinden könnte, zu dem neben Makedonien auch die Türkei und Bulgarien gehören würden. Diese Sorge wird auch durch die jüngste Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei nicht gemindert, deren Premiers sich am Wochenende beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf die Vorbereitung eines Freundschaftsvertrages einigten.

Immerhin haben Ankara und Sofia längst die Anerkennungsschreiben für den neuen Staat abgeschickt. „Ein Blick auf die Landkarte genügt, um festzustellen, daß wir bedroht sind“, bringt der sozialistische Ex- Premier Papandreou die Ängste vor dem Wiedererwachen des Osmanischen Reiches auf den Punkt.

Der Streit um Makedonien hat unter den Staaten der Region eine lange Tradition. Makedonien als Staat war dabei meist inexistent. Lediglich einmal konnte es für 13 Jahre die Geschicke des östlichen Mittelmeerraums diktieren — im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung unter Alexander dem Großen. Später (148 vor u.Z.) fiel es unter römische Kontrolle. Ab 1371 wurde es dem Osmanischen Reich einverleibt. Dort verblieb es, bis sich im 19. Jahrhundert in Makedonien die Aufstände gegen die Fremdherrschaft mehrten und 1913 das Osmanische Reich im Zweiten Balkankrieg die Kontrolle über die Region verlor. Anschließend wurde Makedonien unter den Siegern Bulgarien, Griechenland und Serbien aufgeteilt.

Seitdem hat es keine Grenzveränderung mehr in Makedonien gegeben. Doch die Begehrlichkeiten sind nie ganz verschwunden: Zunächst kämpfte die makedonische Unabhängigkeitsbewegung bis in die 20er Jahre für eine eigenstaatliche Lösung. Gleichzeitig stritten Griechenland, Serbien und Bulgarien untereinander über die territoriale Kriegsbeute. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlug Tito mit Stalins Zustimmung die Bildung eines einheitlichen sozialistischen Staates Makedonien vor. Später beanspruchte Bulgarien die makedonischen Gebiete in Jugoslawien für sich und wurde dabei wiederum von der Sowjetunion unterstützt.

Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens ist jetzt auch die „makedonische Frage“ wieder auf den Tisch gekommen. Um daraus resultierende Grenzkonflikte und Gebietsansprüche auszuschließen, besteht die Regierung in Athen auf der strikten Einhaltung eines Kriterienkatalogs, den die EG im Dezember für anerkennungswillige neue Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien festgelegt hat. Auf besonderen griechischen Wunsch sind darin jede Art von „feindseliger Propaganda“ und „territoriale Ansprüche“ gegen ein Mitgliedsland der EG verboten.

Dennoch findet Griechenland kaum internationale Rückendeckung. Wer nicht auf radikal antihellenischem Kurs fährt, wie die italienische Regierung, ist zumindest zurückhaltend — so auch Bundeskanzler Kohl, den Mitsotakis Anfang Januar bei seiner Rundreise um Hilfe bat. Die Bundesregierung wolle sich an den EG-Kriterienkatalog halten, und der werde ja bislang nicht eingehalten, heißt es dazu vieldeutig im Auswärtigen Amt. Wesentlich sympathischer ist der griechischen Regierung da schon die klare Haltung von US-Präsident Bush. Der hatte seinem begeisterten Besucher Mitsotakis bereits im Dezember versprochen: „Griechenlands Grenzen sind heilig.“ Dorothea Hahn