Das „Volkskammerprinzip“

Zum Medienstaatsvertrag zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg  ■ Von Hans-Hermann Kotte

Weil Berlin und Brandenburg sich — wenn überhaupt — erst Mitte der 90er Jahre vereinigen und auch die Landesrundfunkanstalten beider Länder noch nicht so recht kooperieren wollen, soll ein Medienstaatsvertrag abgeschlossen werden. Die Zeit drängt, denn das Berliner Privatfunkgesetz läuft im April aus, und Brandenburg hat erst gar keine eigene Landesmedienanstalt gegründet. Der entsprechende Staatsvertrag wurde von den Leitern der Staatskanzleien bereits am 20.12. 1991 ratifiziert und vom Berliner Senat vor Wochenfrist abgesegnet.

Das Vertragswerk hat für die regierenden Koalitionen den Vorteil, daß es die Parlamente quasi ausschaltet. Denn ein reguläres Gesetzgebungsverfahren gibt es nicht. Die Volksvertretungen in Berlin und Brandenburg können dem Vertrag nur „per Akklamation“ zustimmen oder ihn eben ablehnen. KritikerInnen — etwa aus der Berliner Fraktion Bündnis 90/Grüne — bezeichnen dies als „Volkskammerprinzip“ und bemängeln auch, daß bei diesem Vertragswerk die verfassungsgebotene Staatsferne im Rundfunkwesen und auch das föderale Prinzip etwas sehr kurz kommen. So heißt es gleich im ersten Paragraphen: „Dieser Staatsvertrag ermächtigt und verpflichtet die Landesrundfunkanstalten zur Zusammenarbeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“

Insgesamt fördert der vorliegende Staatsvertragsentwurf sehr viel stärker das private Rundfunkwesen, als daß er den Bestand und die Entwicklung des öffentlichen Rundfunks sichert. O-Ton: „Ausbau und Fortentwicklung des privaten Rundfunksystems, vor allem in technischer und programmlicher Hinsicht.“ So legt der Staatsvertrag den SFB und den ORB von vornherein auf zusammen sechs Hörfunk- und drei Fernsehfrequenzen fest. Der SFB veranstaltete bislang vier Hörfunkprogramme und wird somit zugunsten privater Veranstalter „reichweitengekürzt“. Absehbar ist, daß SFB und ORB von den vier Fernsehfrequenzen, auf denen sie ihre Dritten und Ersten Programme ausstrahlen, eine starke verlieren werden — mit dem Argument der „Doppelversorgung“ (im Staatsvertrag heißt dies wörtlich „unnötige Doppelstrukturen“). Finanziert werden wird die noch zu gründende gemeinsame Medienanstalt, die die privaten Veranstalter „beraten“ und „chancengleichen Wettbewerb innerhalb eines dualen Rundfunksystems“ herstellen soll, natürlich aus öffentlich-rechtlichen Gebühren. Sie soll nicht nur Sendeerlaubnisse für private Veranstalter erteilen, sondern auch den Öffentlich-Rechtlichen „Übertragungskapazitäten zuweisen“. Zu befürchten ist, daß die Medienanstalt später auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrollieren soll. Für den neuen privaten Hörfunk in Brandenburg wird im Staatsvertrag von vornherein „mindestens eine flächendeckende Frequenzkette für ein privates Länderprogramm“ festgeschrieben, das „für verschiedene Teile des Landes auseinandergeschaltet werden kann“. Kein sehr regionales Prinzip. Der Paragraph, der die weitere Zuweisung von Frequenzen an die Öffentlich-Rechtlichen regelt, ist dagegen nur als Kann-Bestimmung formuliert.

Auch das Kontroll- und Lizenzvergabe-Gremium der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), der sogenannte „Medienrat“, hat etliche kritikwürdige Seiten. Er soll in Nachfolge des Berliner „Kabelrats“ nur sieben (!) Mitglieder haben. Jeweils drei sollen jeweils mit Zweidrittelmehrheit von den Länderparlamenten gewählt werden, die siebte (der oder die Vorsitzende) von beiden Volksvertretungen zusammen mit Zweidrittelmehrheit. Durchkommen werden also nur KandidatInnen der Großparteien. Neben der nur geringen Zahl der MedienrätInnen ist auch fragwürdig, daß die gesellschaftlichen Gruppen aus dem Medienrat weiterhin ausgesperrt bleiben und die Sitzungen des Rats weiterhin unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Kritisch zu bewerten ist darüber hinaus die überaus starke Stellung des Direktors der Medienanstalt, dem der Medienrat eine Vielzahl von Aufgaben „übertragen“ kann. Die Entscheidungen des Medienrates können mit einfacher Mehrheit fallen. Eine „qualifizierte Mehrheit“, die breitere Entscheidungen ermöglichen würde, ist nicht vorgesehen.

Viel Spielraum für die Privaten bieten auch die Paragraphen zur „Meinungsvielfalt“. Sind zwei private „Vollprogramme“ mit Informations„schwerpunkten“ und berücksichtigten „Auffassungen von Minderheiten“ im Äther vorhanden, dann darf es bei den eindimensionalen und musiklastigen „Spartenprogrammen“ drunter und drüber gehen. Und zur „Begrenzung mehrfacher Programmträgerschaft“ sagt der Staatsvertrag, daß Veranstalter nicht nur ein Hörfunk- sondern dazu auch noch ein TV-Vollprogramm veranstalten dürfen. Jeweils ein Spartenprogramm darf noch hinzukommen. Die Beschränkung von „Mehrfachbeteiligungen“ an Veranstaltern von Programmen ist sehr schwammig formuliert. Die Medienanstalt kann zudem vorhandene freie Frequenzen „bunkern“, muß sie also nicht sofort vergeben; außerdem kann sie beschränkt Sendeerlaubnisse auch ohne Ausschreibung erteilen. Die Dauer der Sendeerlaubnis ist mit sieben Jahren sehr lang.

Für die sogenannten Minderheitenprogramme findet sich ebenfalls wieder eine Kann-Bestimmung. Sie sollen, wenn überhaupt, nur schwache Frequenzen bekommen. Im Prinzip aber werden die Minderheitenprogramme auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben: „Vor Erlaß einer Satzung untersucht die Medienanstalt den Bedarf an und die Entwicklungsmöglichkeiten für solche Programme in Zusammenarbeit mit den Landesrundfunkanstalten.“