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: Druck lohnt sich

■ Die Stahlbosse haben spät, aber nicht zu spät nachgegeben

Daß der Arbeitskampf im Stahlbereich nun doch nicht stattfindet, ist der späten Einsicht der Stahlbosse zu verdanken, daß sie ihren eigenen Interessen folgen müssen und nicht denen, die schon seit Monaten für die tarifpolitische Wende trommeln. Die Stahlindustrie hätte bei einem womöglich wochenlangen Arbeitskampf bei derzeit labiler Marktlage sehr viel mehr verlieren können, als sie mit diesem Abschluß nun an Lohnkostenzuwachs verkraften muß. Natürlich ist den Stahlbossen nicht entgangen, daß ausländische Konkurrenten schon lauernd dem Arbeitskampf entgegenfieberten, um die Kundschaft in Deutschland, vor allem die Autoindustrie, mit ihren Produkten zu versorgen. Bei einem Lohnkostenanteil von 20 bis 25 Prozent im Stahlbereich fallen die nun fälligen 6,4 Prozent da weniger ins Gewicht als die Stabilität der Lieferbeziehungen.

Andererseits haben die Stahlbosse natürlich auch gewußt, daß sie einen Arbeitskampf in ihrer Branche gegen die hochorganisierten Belegschaften kaum gewinnen können. Es ist ihnen nicht entgangen, daß die Stimmung in den Betrieben inzwischen ganz auf Kampf eingestellt war. Es sollte nicht wundern, wenn die Führung der IG Metall nun noch das eine oder andere böse Wort von der Basis zu hören bekommt. Sicher hatten sich manche versprochen, statt eines Gesamtvolumens von 6,4 einen Abschluß von rund 7 Prozent wie 1991 in der Metallindustrie durchsetzen zu können.

Druck lohnt sich. Das ist die Botschaft dieses in letzter Sekunde abgewendeten Tarifkonflikts. Zwar haben die Stahlarbeiter nicht soviel bekommen wie die Metallarbeiter im letzten Jahr. Aber sie haben die Garantie, daß die Ausgangsbedingungen für die Tarifrunde 92/93 angeglichen werden. Und die Gewerkschaft konnte kaum „nein“ zu einem Angebot sagen, das knapp über dem Volumen gelegen hatte, was sie selbst in der letzten vergeblichen Verhandlungsrunde vor der Urabstimmung als letzte Forderung vorgelegt hatte. Der Druck aus den Betrieben und die Einsicht in eigene wirtschaftliche Interessen hat die Stahlbosse offensichtlich dazu gebracht, sich nicht als Speerspitze für eine allgemeine Kraftprobe mit den Gewerkschaften einsetzen zu lassen. Damit ist die tarifpolitische Wende fürs erste abgewehrt. Aber eine Vorentscheidung über den Verlauf der gesamten Tarifbewegung 92 ist die Einigung beim Stahl nicht. Die Stimmen aus dem Arbeitgeberlager haben sich in den letzten Monaten deutlich radikalisiert. Weitere Zuspitzungen, etwa bei den Banken oder im öffentlichen Dienst, sind zu erwarten. Martin Kempe