Nach der abgewendeten Kraftprobe: Erleichterung bei ÖTV und HBV

■ Gewerkschaften: Keine Schlußfolgerungen für die kommenden Tarifauseinandersetzungen

Vor allem bei den Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und Handel, Banken und Versicherungen (HBV) war gestern Erleichterung spürbar, weil die sich anbahnende Kraftprobe zwischen den Tarifparteien in der Stahlbranche mit einem akzeptablen Ergebnis für die Beschäftigten abgewendet werden konnte. Die IG Metall hat mit der Urabstimmung erfolgreich ihre Muskeln spielen lassen und damit ein besseres Ergebnis erzielt, als sie gefordert hatte. Mit einem Gesamtvolumen von 6,4 Prozent liegt das Ergebnis zwei bis drei Prozent über dem, was die Gewerkschaft bei der letzten Verhandlungsrunde als äußerste Schmerzgrenze für ihre Mitglieder markiert hatte.

Die IG Metall sieht mit dem Ergebnis ihre Forderung nach einer strukturellen Gleichstellung der Ecklöhne im Metall- und im Stahlbereich als erfüllt an. Zwar hat man das Volumen des Metallabschlusses von insgesamt etwa sieben Prozent nicht erreicht. Aber für die Tarifrunde des nächsten Jahres sind nun für beide Branchen gleiche Ausgangsbedingungen geschaffen.

Der IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler hatte vor und nach der Urabstimmung alle Versuche der Arbeitgeber zurückgewiesen, auf Basis der bis dahin erreichten Positionen die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Nun, nachdem die Arbeitgeber den Konflikt bis zur Urabstimmung ausgereizt hätten, sei alles wieder offen. Das jetzt erzielte Ergebnis hätten die Arbeitgeber ihrer eigenen Sturheit zu verdanken. Es sei darauf zurückzuführen, daß die Arbeitnehmer ihre Kampfbereitschaft gezeigt hätten. Damit sei gleichzeitig die Basis dafür gelegt, auch im weiteren Verlauf des Jahres zu „vernünftigen Tarifergebnissen“ zu kommen.

Die ÖTV erklärte gegenüber der taz, aus dem Ergebnis im Stahlbereich seien keine Schlußfolgerungen für den Verlauf der am kommenden Freitag in Stuttgart beginnenden Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst zu ziehen. Die ÖTV fordert 9,5 Prozent für die Arbeiter und Angestellten bei Bund, Ländern und Gemeinden. Die HBV erklärte, sie werde ihre Mobilisierung im Bankenbereich fortsetzen. Dort hatte es in den letzten Wochen bereits Warnstreiks gegeben. Bei der gestrigen Sitzung des geschäftsführenden Hauptvorstandes der HBV ist, so kündigte HBV-Sprecher Claus Eilrich gestern gegenüber der taz an, der Beginn der Urabstimmung bei den Banken auf Montag nächste Woche festgelegt worden. Unabhängig von den Tarifergebnissen anderer Branchen fordert die HBV bei den Banken eine „branchenspezifische Lösung“ des Tarifkonflikts. Im Klartext bedeutet das nach Einschätzung von Beobachtern, daß es ohne eine Sechs vor dem Komma keine Einigung geben wird. Martin Kempe