Narva/Merkur — Voll im Informations-Loop

■ Der letzte und richtiggestellte Stand bei den zwei noch bzw. schon mittelständischen Glühlampenfabriken in der alten bzw. neuen BRD

Laßt uns hier so arbeiten, daß kein Narva-Fall daraus wird«, heißt es mittlerweile in der Treuhandanstalt, wie uns der dortige Privatisierungsdirektor Hans-Christoph Wolf versicherte. Übrigens heißen merkwürdig viele Treuhand-Manager »Wolf«, einer sogar »Krieger«, während auf der Betriebsratsseite in den »Lampenbuden« mehrere »Feige« zu finden sind, sowie ein »Christfried«. Sollte uns das nicht zu denken geben? Wir denken, nein! Denn mit dem Wolf-Zitat sollte bloß angedeutet werden, inwieweit der Widerstand der Narva-Belegschaft gegen ihre Klingbeil-Abwicklung dem Berliner Glühlampenwerk zur Popularität verholfen hat. »Das hat fast das aus Finanzgründen noch nicht umgesetzte Werbekonzept kompensiert«, so Aufsichtsratsmitglied und Marketing-Berater J.F. Meier.

Auch erste Synergie-Effekte sind bereits zu verzeichnen: Eine TV-Dokumentation übers Narva-Arbeitertheater, eine andere über den Narva- Schmalfilmclub, eine aktuelle Installationskunst in den Fabrikationshallen des BGW und eine Langzeitstudie des BBC über drei Narva-Mitarbeiter, nach deren Ausstrahlung einige anrührende Solidaritätsadressen aus England den Betriebsrat erreichten. Rechtzeitig vor der ersten Treuhand- Vertragsverhandlungsrunde mit dem ersten von der CSFB-Bank vorgeschlagenen Bewerber, Mitte Februar, erscheint zudem die zweite unauthorisierte Ausgabe der ehemaligen Betriebszeitung »Lichtquelle«.

Neben den früheren Bewerbern um Narva — Conle, Tabfin AG und Phoenix Electric — sind nun noch einige mehr im Rennen (insgesamt 6). Angeblich auch wieder die Klingbeil- Gruppe mit der Deutschen Bank: Als David B. Katz Immobiliengesellschaft diesmal. Das munkelt man jedenfalls im Umkreis des Vereins der Freunde der Nationalgalerie. Dessen Mitglied — der uns nicht ganz so bekannte Architekt Müller — soll von einer neuerlichen Bewerbung jedoch abgesehen haben, weil seine Unternehmensberater keinen geeigneten industriellen Partner für sein »Übernahmekonzept« fanden, selbst Light- Consultants in den USA konnten ihm nicht weiterhelfen.

Auf Wunsch eines einzelnen Investors verhandeln derzeit die Treuhand und Narva mit Philips in Eindhoven wegen der Patentrechtsproblematik bei den Energiesparlampen, die bei Narva zwar auf einer Osram- Fließreihe produziert werden, deren Patente (die Kolbenherstellung betreffend) aber bei der holländischen Gloeilampenfabrieken liegen, welche mit Osram und anderen IEA-Kartellmitgliedern einen »Patent-Pool« hat.

Der Zufall will es, daß uns soeben — aus einem Münchner Archiv — die Abschrift eines »General Patent and Development Aggreements« der »Internationalen Glühlampen Preisvereinigung« (IGP — Vorläuferin der Phoebus S.A. und der IEA) erreichte. Diese Abschrift kam fast zeitgleich mit einem Leserbrief zu unserem vorletzten taz-Artikel über das Glühbirnen-Kartell (v. 29.11. 91). Ein Dr.Arnold Bauer aus 8100 Garmisch-P. schreibt darin: »Das alte Märchen, die G.-Brenndauer würde in Chefetagen zwecks Gewinnmaximierung manipuliert, gewinnt durch Wiederholung nicht an Glaubwürdigkeit.« Die optimale Brenndauer sei quasi objektiv: »von Physikern berechnet«... »Da in diese Rechnung auch der örtlich unterschiedliche Strompreis eingeht, lag es natürlich nahe, einen in kapitalistischen und sozialistischen Ländern einheitlichen Mittelwert zu vereinbaren.« Dem ließe sich entgegenhalten: In den sozialistischen Ländern wurde der Strompreis willkürlich festgelegt, wegen der Devisenknappheit war man aber zur Ressourcenschonung gezwungen, und die Produktion kurzlebiger 1.000-Stunden-Glühlampen verbraucht neben Elektrizität permanent teure Materialien (wie Glas, Wolfram, Edelgas, Metall). Dem versuchte Tungsram dann auch mit einer »Langlebensdauerglühlampe« (2.500 Stunden) entgegenzuwirken. Die chinesischen »Normallampen« halten sogar 5.000 Stunden, obwohl in China die größten Wolfram-Vorräte liegen. Aber Chinesen waren im Gegensatz zu Sowjets nie assoziiertes Mitglied der IEA.

Ähnlich wie Dr. Bauer argumentierte später auch (telefonisch) Herr Bouchette, Geschäftsführender Gesellschafter der Soester Glühlampenfabrik »Merkur«, der sogar meinte: Wegen meiner, auch theoretisch- physikalisch-sturen Binningergeneigtheit würde man mich mittlerweile »in der Branche nicht mehr ernst nehmen«. Der Grund unseres Gesprächs war jedoch ein anderer: Im letzten Narva-Bericht (taz v. 7.1. 91), in dem vornehmlich die momentanen »Patentprobleme« von Dieter Binningers Lampenfirma »Videor« mit Osram und Philips abgehandelt wurden, hatten wir behauptet, daß die Firma Merkur, deren Geschäftsführer Binninger 1986 gewesen war, mittlerweile liquidiert worden sei (»rekonstruiert« — wie es jetzt auf treuhand- deutsch heißt). Dies traf jedoch nicht zu! Und deswegen war nicht nur Herr Bouchette, der neben Merkur noch einige andere »Non Food«-Geschäfte betreibt, über die Falschmeldung erbost, sondern auch Herr Pohl aus der Narva-Vertriebsabteilung, da die Soester Firma zu den guten Kunden des BGW gehört. Selbst Frau Binninger war irritiert, weil die Firma ihres verstorbenen Mannes noch Geld von Merkur zu bekommen hatte und sie — endlich im Besitz des Erbscheins — nunmehr auf die Überweisung hoffen konnte. Herr Bouchette war geradezu und begreiflicherweise erregt und hatte sogar schon bei seinem Rechtsanwalt eine Klage wegen Geschäftsschädigung sowie eine Beschwerde beim Presserat ventiliert.

Wir versprachen Herrn Bouchette, unsere Falschmeldung über seinen Betrieb, deren Entstehung zu erklären hier zu weit führen würde, umgehendst zu korrigieren. Der Merkur-Chef hatte aber noch einige andere Punkte im letzten Narva-Bericht zu bemängeln, auf deren Richtigstellung er jedoch nicht bestand: 1. die »Narva-Kader«, von denen nach der Wende etliche eine Anstellung in Soest fanden: Hierbei konnten wir glaubhaft machen, daß diese Bezeichnung von uns in keinster Weise herabsetzend gemeint (gewesen) sei, im Gegenteil! 2. Unser Interview mit Dieter Binninger »Ende vergangenen Jahres«: »Da war der doch schon lange tot«, so Herr Bouchette. — Richtig! Aber dies hatten wir noch im alten Jahr geschrieben, es war dann bloß beim Abdruck Anfang Januar nicht geändert worden: Das Interview mit Binninger fand im Dezember 1990 statt! — Apropos: Im vergangenen Jahr wurde es dann Grundlage für ein von der Berliner Drehbuch-Werkstatt gefördertes Drehbuch, an dem der DFFB-Student Andrew Hood, ein Freund des verstorbenen Glühbirnen-Erfinders Erich Fried, seitdem arbeitete. Sein Plot handelt von Dieter Binningers Langlebensdauerglühlampen-Erfindung und dem Berliner Glühlampenwerk, und demnächst liegt die fünfte und vorläufig endgültige Fassung vor. Es gibt schon drei interessierte Produzenten. Kurt Rudolf Mirow soll als Kartell-Experte beraten und Christian Ströbele als Jurist (er hatte bereits dem Narva-Betriebsrat bei dessen Klingbeil-Treuhand-Problemen anwaltlichen Rat zukommen lassen — und dafür eine Kiste Narva-Lampen und einen Karton Binninger-Birnen verlangt). Die Rolle von Wolf Klinz soll Hanns Zischler angetragen werden. Eine erste öffentliche Präsentation des Drehbuchs findet demnächst im Brecht-Keller statt. Auch dieser Filmfilm wird dann wohl Teil der bisher nahezu gänzlich unkonventionellen Narva-Werbekampagne sein.

Und vielleicht läßt sich sogar die Firma Merkur noch irgendwie in die Handlung einbauen: Dort werden — auf schon älteren Maschinen — Sonderlampen (z.B. stoßfeste Lampen für den Bahneinsatz) hergestellt, daneben aber auch tschechische und italienische Lampen vertrieben. Die Binninger-Birnen wurden bei Merkur mit Bajonettverschluß hergestellt, für den arabischen Markt zum Beispiel.

Sonderlampen werden im BGW ebenfalls gefertigt, teilweise auch im früher zum Kombinat Narva gehörenden Werk in Oberweißbach, wo man auf Kleinlampen spezialisiert ist. Autolampen werden im Plauener Werk produziert, das 1991 von Philips übernommen wurde, die auch — etwas voreilig — das Warenzeichen »Narva« beanspruchen. Diese Firmen gehören jetzt alle dem Narva- Warenzeichen-Verband an, zu dessen Geschäftsführer jüngst der BGW- Betriebsrat Klaus Schramm gewählt wurde. Das seit dem letzten Herbst wieder produzierende Leuchtstoffröhren-Werk in Brand-Erbisdorf, bei dem der BGW-Interessent Conle Gesellschafter ist, zählt ebenfalls dazu, und nicht zu vergessen die Taschenlampen-Fabrik im thüringischen Arnstadt, die neuerdings mit dem Slogan wirbt: »Narva-Taschenlampen arbeiten mit Lichtgeschwindigkeit«.

Nurmehr »zügig«, aber immerhin kommt die Privatisierung des Berliner Stammwerkes voran: Nach Bieterschluß tagte am vergangenen Mittwoch der Aufsichtsrat zusammen mit der CSFB-Bank, am Tag darauf hatte die Treuhand Betriebsrat und Geschäftsführung eingeladen, und am Freitag empfing Abwicklungsdirektor Wolf Herbst »wegen des besonderen öffentlichen Interesses an Narva« jeweils drei Mitglieder der Abgeordneten-Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit (darunter den engagierten Köpenicker Peter Wolf), ferner einige Mitglieder der Friedrichshainer Bezirksverordnetenversammlung und des Bundestages. Im wesentlichen erläuterten die Treuhand- und CSFB-Manager ihre Vorstellungen vom Verkauf des Betriebes inklusive seiner auf 35 Prozent reduzierten Friedrichshainer Immobilie, wobei sie auch die Möglichkeit eines Umzugs der Lichtproduktion an den Stadtrand auf ein etwa gleich großes Alternativgrundstück ins Auge faßten. Die vier industriellen Investoren (darunter eine indische Lampenfirma) wären mit dieser Lösung einverstanden. Die Arbeitsplatz-Garantien der insgesamt fünfeinhalb Bewerber würden sich zwischen 400 und 1.050 bewegen, ihre Investitions-Zusagen zwischen 21 und 130 Millionen DM, und für die Immobilien-Entwicklung 100 bis 800 Mio. DM. Den Duisburger Bewerber Conle räumten sie diesmal anscheinend ernsthaftes Interesse an der Lichtproduktion ein. In der zweiten vorherigen Runde war er noch als Steuerflüchtling in der Schweiz charakterisiert worden. Finanzsenator Pieroth hatte Conles, mit den Narva- eigenen Sanierungsplänen abgestimmte »Annahmen« als »wegen Unwirtschaftlichkeit nicht haltbar« und von daher »im Ergebnis« als mit der Klingbeilschen Immobilienlösung identisch bezeichnet. Weswegen er für das »Berliner Unternehmen« als privaten Industrieabwickler votiert hatte.

Durch die unlängst erfolgte Netzspannungserhöhung von 220 auf 230 Volt hat sich die Lebensdauer der Glühbirnen auf 700 Stunden verringert, was den Lampenherstellern bis dato einen zusätzlichen Absatz von 6 Millionen Glühbirnen bescherte. Ein wirtschaftspolitischer Witzbold schlug deswegen jetzt eine weitere Spannungserhöhung — auf 250 Volt — vor: »Damit könnten bei Narva Arbeitsplätze rund um die Uhr geschaffen werden!«

Wenn bis hierhin der Eindruck entstanden ist, daß dieser Bericht im wesentlichen nur aus den letzten Notizen unseres Narva-Zettelkastens besteht, dann ist das zwar korrekt, aber — wie Treuhand-Privatisierer Wolf van Joest grad neulich wieder und völlig zu Recht hervorhob: »Es geht uns um die Menschen dabei!« Und dann bat er uns noch, nur das zu berichten, was derzeit — »mitten in der heißen Phase« — wirklich nötig ist: »Unser Job ist anstrengend genug, denn wir haben es mit Menschen zu tun.« Im übrigen würden sich in dieser Angelegenheit schon Wolf Schöde (Medien & Kommunikation) und Wausch Kuhn (Pressestelle) quasi in einem ständigen »Informations-Loop« befinden. — Was immer das sein mag (wir trauten uns nicht nachzufragen), aber es beruhigte uns doch außerordentlich. — Obwohl er wahrscheinlich dasselbe sagen wollte wie der VW-Vorständler Daniel Goeudevert: »Im Mittelpunkt steht der Mensch, aber genau da steht er im Weg.« Helmut Höge