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Aufarbeitung

■ betr.: "Linke Krankheit Dogmatismus", taz vom 29.1.92

betr.: »Linke Krankheit Dogmatismus«, Kommentar von Gerd Nowakowski, taz vom 29.1.92

»Welchen Anspruch an Glaubwürdigkeit kann eine Linke haben, die Überzeugungen zur opportunistischen Propaganda verkommen läßt?« fragte am 28.1.92 Gerd Nowakowski polemisch in seinem taz-Kommentar, um dann messerscharf weiter zu folgern: »Damit konfrontiert, ist die ehemalige Alternative Liste bisher nur weggetaucht. Ansonsten hätte es längst Konsequenzen gegenüber der Kreuzberger Bezirksgliederung geben müssen.«

Welche Überzeugungen in der Alternativen Liste Kreuzberg zur opportunistischen Propaganda verkommen, präsentiert Herr Nowakowski ein paar Zeilen vorher mit der Behauptung, daß die »Mitgliederversammlung der Kreuzberger AL« die Verteidigung des enttarnten Stasi-Mitarbeiters Dirk Schneider (»das Paktieren mit der Stasi sei im Kampf gegen das westdeutsche System notwendig gewesen«) zustimmend zur Kenntnis genommen« hätte.

Uns geht es hier nicht um die Erörterung der journalistischen »Hackebeil-Einfach«-Methode, mit der sich Herr Nowakowski in diesem Kommentar zum moralischen Richter über die »Geschichte der Linken« aufwirft. Was sollte auch rational dem Tonfall eines »Kriegsgewinnlers« entgegenzusetzen sein.

Es geht uns auch nicht um die feinen Unterschiede, daß zum Beispiel keine Mitgliederversammlung, sondern ein Bezirksplenum mit Dirk Schneider stattfand; das allerdings wiederum nicht, um seine Verteidigung »zustimmend« zur Kenntnis zu nehmen, sondern um von ihm eine Erklärung zu bekommen, warum er fast ein Jahrzehnt lang seine politischen Freunde belogen hat.

Dennoch zur Richtigstellung:

1.Viele Mitglieder der Alternativen Liste Kreuzberg waren zutiefst geschockt, als Dirk Schneider als Stasi- Mann enttarnt wurde. Dieser Schock setzte sich in dem Maße fort, wie klar wurde, daß bei Dirk Schneider kein beziehungsweise nur taktisches Unrechtsbewußtsein gegenüber seinen früheren politischen AL-Freunden existiert. Dirk Schneiders schizophrene Doppelmoral, in gleichem Atemzug seinen »Vertrauensbruch gegen AL- Leute und deren Prinzipien« zu konstatieren und gleichzeitig (auch heute noch) für sich zu beanspruchen, immer schon Werte wie »Gerechtigkeit oder solidarisches Miteinanderumgehen« hochgehalten zu haben, hat viele politisch resignieren lassen.

2.Was heute viele nicht wahrhaben wollen: In der BRD, bis kurz vor der Wende November 1989, erfreute sich die deutschlandpolitische Position: Anerkennung der DDR und BRD als zwei souveräne Staaten, zunehmender gesellschaftspolitischer Beliebtheit. Erinnert sei nur an den Vorstoß einiger CDU-Abgeordneter im Bundestag zur Abschaffung des Paragraphen 146 Grundgesetz im Sommer 1989. Insofern formulierten die Grünen nur etwas konsequenter. Neben friedens- und entspannungspolitischen beziehungsweise schlicht realpolitischen Motiven wurde diese Position auch von bestimmten Grünen aus einem verklärten DDR-Patriotismus (»Die DDR ist der bessere Staat«) heraus vertreten, der häufig einherging mit radikaler Ablehnung der »kapitalistischen« BRD und, nur konsequent, mit einem beschlagenen linken Brillenglas, wenn es um Menschenrechtsverletzungen im sozialistischen Bauern- und Arbeiterparadies DDR ging.

3.Der ganz überwiegende Teil dieser DDR-Nostalgiker hat inzwischen die Alternative Liste Berlin — und im übrigen auch die Kreuzberger Bezirksgruppe — verlassen und im Umfeld oder in der PDS seine neue Heimat gefunden. Die Kreuzberger Bezirksgruppe kneift dabei nicht vor einer Auseinandersetzung mit ihrer »Vergangenheit«. Bislang gab es zwei Plena, die ausschließlich diesem Problem gewidmet waren. Weitere werden folgen.

4.Die Aufarbeitung dieser »Vergangenheit« wird sich dabei unter anderem an dem Prinzip orientieren, daß die Zu- und Mitarbeit, egal in welchem Geheimdienst, mit AL-Grundsätzen unvereinbar ist. Inhaltlich hat und wird dabei weiter eine Rolle spielen, warum die repressiv-bürokratische Sozialismusvariante DDR zur politischen Identifikationsfigur auch vieler (Ex-)Grüner werden konnte. Franz Schulz für den Geschäftsführenden Ausschuß Kreuzberg

Der ehemalige taz-Lokalredakteur Till Meyer hat sich als Stasi-Mann enttarnt. Nachdem sich sein Redaktionskollege Gerd Nowakowski von dem ersten Schock erholt hat, kommt er nicht mehr umhin, einen weitreichenden Gedanken mutig über die Lippen zu bringen, der an Radikalität (oder, neudeutsch, Humanität) kaum noch zu überbieten ist. Verdichtet man die schon so bestechende Präzision seines Kommentars bis hin zur bitteren Quintessenz, enthüllt sich folgende verblüffende, wenn auch für alle Beteiligten schmerzhafte Konsequenz: Weil sich ein taz-Journalist als Stasi-Agent entlarvt hat und damit seinen linken Dogmatismus bewiesen hat, wird es Zeit, daß die AL ihre Kreuzberger Bezirksgruppe zur Brust nimmt, damit diese endlich die Geschichte der Linken schonungslos aufarbeitet.

Nun hat sich die Kreuzberger AL-Bezirksgruppe schon immer als moderner Dienstleistungsbetrieb verstanden, insbesondere für linke Projekte. Da das Projekt »Linke Tageszeitung« auch noch in Kreuzberg ansässig ist, wird die Bezirksgruppe dieser verzweifelten Anforderung gewiß auch dann nachkommen, wenn die AL- Zentrale wieder mal versäumen sollte, die Bezirksgruppe an ihre Pflichten zu erinnern. Reimund Helms, das dienstälteste Mitglied der Kreuzberger AL-Bezirksgruppe

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