Verrottete Bruchbuden für Asylbewerber

■ Dreißig Asylbewerber flohen nach vier Tagen menschenverachtender Behandlung aus Sachsen nach Berlin

Berlin. »Wir wurden im Haus eingeschlossen und nur zum Essen in einer Kantine außerhalb herausgelassen. Das Essen war sehr unappetitlich. Die hygienischen Verhältnisse waren sehr ungenügend, zum Beispiel Matratzen voller Blut- und Essensflecke...« Soviel als Kostprobe aus dem Gedächtnisprotokoll einer bosnischen Asylbewerberin, die nach vier Tagen in Sachsen die Flucht ergriff und auf eigene Faust nach Berlin zurückkehrte. Der Berliner Flüchtlingsrat reagiert jetzt mit Beschwerdebriefen an den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) und fordert ein Bleiberecht in Berlin.

Am 23. Januar wurde Gordana E. mitsamt ihrer Familie von Berlin nach Chemnitz geschickt. Dort angekommen, wurden sie zusammen mit vierzig anderen Asylbewerbern das Wochenende über in der besagten Herberge untergebracht. Nachdem sie den gesamten Montag ohne Verpflegung auf dem Chemnitzer Sozialamt verbracht hatten, wurden sie abends in einen Bus verfrachtet und nach St.-Johann-Georgenstadt im Kreis Schwarzenberg gefahren. Hier sollte bis zum Ende des Asylverfahrens ihr neues Zuhause sein. Mitten in der Nacht stoppte der Bus. Bei Dunkelheit und Schnee hätten sie mitsamt ihren Kindern fünfzehn Minuten durch den Wald marschieren müssen, erzählt Gordana E. Dann erreichten sie »eine Art Lager mitten im Wald, bestehend aus einigen Holzbaracken. Dort bekam jede Person einen Apfel und vier papierdünne Scheiben Salami, eine halbe saure Gurke und Brot.«

Innerhalb der Baracken erwartete die (immer noch hungrige) Gruppe der nächste Schock: kaputte Wasserleitungen, verstopfte Toiletten und Fußbodenabfluß. »Es herrschte ein solcher Gestank, daß sich einige Leute übergeben mußten«, so Gordana E. Der Flur war überschwemmt, das Linoleum durchlöchert und das Mobiliar zum Teil stark beschädigt.

Entsetzt verlangten die Asylbewerber vom Busfahrer, sie zurück nach Chemnitz zu bringen. Dort angekommen, stellte man sich stur, gab dem Busfahrer vier Polizeiwagen an die Seite und brachte die Asylbewerber zurück in das Heim. Nachts um zwei seien sie dort solange von der Polizei bedrängt worden, bis sie ausstiegen, erzählt Gordana E. Daraufhin reichte es dem Trupp endgültig — 30 von ihnen schlugen sich durch nach Berlin. Hier halten sie sich jetzt bei Bekannten oder in Wohnheimen auf.

Das Deutsche Rote Kreuz in Schwarzenberg hat die Beschreibungen der Flüchtlinge inzwischen überprüft und bestätigt. Eine Unterbringung in dem besagten Heim unter privater Trägerschaft sei »unzumutbar«, heißt es in einem Schreiben. Die Zuweisung nach Chemnitz wurde gestrichen. Der Berliner Flüchtlingsrat fordert jetzt die Sozialsenatorin Stahmer (SPD) sowie die ausländerpolitischen Sprecher der Parteien auf, sich für eine unbürokratische Aufnahme der Flüchtlinge einzusetzen.

»Der Fall erinnert an Deportation«, so Frauke Hoyer vom Flüchtlingsrat. Die mangelnde Infrastruktur in den neuen Ländern ginge häufig zulasten der Flüchtlinge. »Wenn sich nicht Freiwillige um die Leute kümmern, sind die Zustände oft menschenverachtend.« Die Innenverwaltung hat den Asylbewerbern gestern eine Absage erteilt. An der Zuweisung nach Sachsen gebe es nichts zu rütteln, teilte eine Sprecherin mit. Lediglich innerhalb des Freistaates könne eine neue Unterkunft für sie gefunden werden. jgo