Kein Wille, im Schwergewicht zu kämpfen

■ Der Düsseldorfer Werbemanager Michael Schirner, bis Ende 1991 für die Berliner Olympiawerbung zuständig, über den fehlenden Willen der Stadt, Metropole zu sein/ Berlin orientiert sich an Bonn, nicht an den europäischen Metropolen

taz: Im letzten Jahr sind die Touristenzahlen um rund 10 Prozent zurückgegangen. Kann das damit zusammenhängen, daß die Attraktivität Berlins nachläßt, weil Berlin noch ein neues Bild seiner selbst fehlt und das alte Bild abgenutzt ist?

Schirner: Genauso ist es. Berlin hat kein Profil. Früher hatte die Stadt ein Bild, eine Rolle. Die hat sie verloren, aber sie hat noch keine neue Identität gewonnen. Die alte ist weg, aber die neue ist noch nicht da. Es gibt noch keine Vision oder Vorstellung von einem neuen Berlin. Und vor allem gibt es sie bei den Berlinern nicht.

Weil die BerlinerInnen noch kein Bewußtsein ihrer neuen Rolle haben?

Die Stadt muß sich entschließen, Metropole zu werden, ein neues Berlin zu werden. Da gibt es noch unglaublich viele Schwierigkeiten der Berliner, sich mit dieser neuen Rolle anzufreunden.

Ist das Problem Berlins eigentlich eines der richtigen Werbung, oder ist es eine Frage des Bewußtseins Berlins von sich selbst? Braucht es ein solches Bewußtsein, um überhaupt erfolgreich werben zu können?

Es ist kein Problem der Darstellung, sondern ein Problem des Produkts — also der Stadt. Es muß in Berlin ein gewisses Selbstbewußtsein etabliert werden. Erst dann kann man das nach außen tragen. Man kann es natürlich beschleunigen durch Kommunikation oder durch Werbung, daß man den Weg zur Metropole begleitet mit einer Kampagne und die Vorstellungen, die Visionen und die Ideen, die im Zusammenhang mit dem Werden einer Metropole entstehen, veröffentlicht, nach draußen trägt und diskutieren läßt. Da ist aber im Moment noch nichts vorhanden.

Zweifeln Sie daran, daß der Wille in Berlin vorhanden ist?

Berlin ist durch die Inselzeit Provinz geworden. Berlin ist — auch durch die Subventionen — künstlich am Leben erhalten worden. Berlin hat ein sehr großes Defizit an Professionalität. Viele der guten Leute aus Berlin haben sich außerhalb der Stadt profiliert. In Berlin sieht es nicht so toll aus mit der Kompetenz und mit den Fachleuten. Das muß erst wieder entstehen.

Fehlt Ihnen denn eine Idee der Stadt?

Hauptstadt werden heißt Kulturhauptstadt, Politikhauptstadt, Wirtschaftshauptstadt, Bankenhauptstadt, Kunsthauptstadt — und zwar nicht im deutschen Maßstab, sondern im europäischen Maßstab. Die Konkurrenten von Berlin sind Paris und London — der Konkurrent ist nicht Bonn. Im Moment spielt sich der Vergleich Berlins mit anderen Städten auf dem niedrigsten Niveau ab, auf dem von Bonn. Das muß erst mal durchbrochen werden. Wenn man schon Hauptstadt ist, dann muß man das auch wollen.

Hat sich der Senat nach der Bundestagsentscheidung für Berlin darauf ausgeruht und ist nun überrascht, wie wenig von dort an Unterstützung kommt?

Das ist ein Problem des Selbstbewußtseins. Berlin hat seine Forderungen nicht deutlich genug gemacht. Berlin war immer sehr zurückhaltend, sehr bescheiden und sehr leise...

Weil man am Bonner Geldsack hängt...

Andererseits hat Berlin ja auch Möglichkeiten. Die Tatsache, daß Berlin Hauptstadt ist, gibt ihr natürlich auch eine unglaubliche Attraktivität. Die Unternehmen, die nach Berlin kommen, geben der Stadt eine Stärke. Nur hat man das bisher sehr vorsichtig und halbherzig betrieben. All die Möglichkeiten, Berlin voranzubringen — nehmen wir mal Olympia —, sind bislang nicht genutzt worden — sondern im Gegenteil vertan worden. Eben gerade deswegen, weil das provinzielle Denken noch zu deutlich ist. Es ist versäumt worden, die Position von Berlin im Vergleich zu anderen Städten deutlich zu machen. Man hat Berlin nicht als europäische Metropole gesehen. Das müßte schleunigst passieren — und Olympia ist da ein herrliches Vehikel.

Berlin kämpft in der falschen Gewichtsklasse?

Ja, das würde ich sagen. Berlin tut so, als wäre es immer noch Fliegengewicht. Das Problem Berlins ist auch die Bevölkerung, die noch nicht begriffen hat, daß diese neue Rolle eine wahnsinnige Chance ist.

Der Berliner Senat hat nicht die Statur, im Schwergewicht zu kämpfen?

Im Moment sieht es nicht so aus. Die wenigen Großprojekte sind kleinmaßstäblich diskutiert und zerredet worden. Es gibt hier nichts Faszinierendes. Paris dagegen hat es im Verlauf von wenigen Jahren geschafft, sich wirklich als Metropole darzustellen. Einfach, weil sie sich im Weltmaßstab gesehen haben. Weltstadt wird man nicht, wenn man nur deutsche Architekten für ein großes Bauprojekt beauftragt. Das neue Paris ist gebaut worden von Chinesen, Spaniern und Amerikanern. Oder: Kunsthauptstadt wird man nicht durch ein paar alte Museen, die Berlin ja zuhauf hat, sondern durch aktuelle Welt-Top-Künstler, die in der Stadt leben und arbeiten. Die muß man holen. Berlin muß wieder Talente im Weltmaßstab holen — wie es früher ja einmal war: da war Berlin Hauptstadt, weil sich da die Welt traf.

Was bleibt als Erfahrung aus Ihrer Beschäftigung mit der Berliner Olympiawerbung zurück?

Da haben wir alles am eigenen Leibe erfahren: die Angst und die Scheu, sich darzustellen. Das fehlende Selbstverständnis des neuen Berlins hat uns sehr viel Schwierigkeiten gemacht. Das ging so weit, daß Medien von uns sprachen, als einer Agentur vom fernen Rhein, die sich anmaßt, für Berlin Werbung zu machen. Berlin schaut noch zu sehr auf sich selbst. Deswegen ist jemand aus Düsseldorf schon fast ein Ausländer. Das bezeichnet natürlich die Geisteshaltung sehr deutlich.

Da hätten Sie sich mehr Unterstützung aus dem Berliner Senat gewünscht?

Vom Senat und von allen Beteiligten. Vor allen Dingen auch von den Medien.

Haben Sie denn Hoffnung, daß Berlin das jetzt endlich in den Griff bekommt?

Im Moment sehe ich da nichts. Das Thema Olympia wird nicht mehr benutzt für die Stadt, obwohl es ein wunderbares Thema wäre. Wenn sich das nicht ändert, dann ist erst mal bis zum Jahre 2000 Zeit vertan. Ich schätze schon, daß sich mit der Zeit das Bewußtsein ändern wird — aber das wird sehr lange dauern. Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski