Manuel Vásquez Montalbán:

■ Brief an einen von den Göttern ernstlich bedrohten Künstler

Ich weiß nicht, Herr Rushdie, ob irgendein Verdienst darin liegt, daß es dem Menschen gelungen ist, aufrecht zu gehen und den Gang auf allen vieren zu überwinden, der den Affen charakterisiert, den Primaten also, von dem wir, wie es scheint, abstammen. Ich glaube an keine andere biologische Bestimmung als das Überleben, bin aber davon überzeugt, daß ober- oder unterhalb der biologischen Impulse eine historische Bestimmung gesetzt werden kann und daß das, was man gewöhnlich human oder humanistisch nennt, diesem schmalen Streifen Kultur zugehört. Furcht, Glauben und Sprache haben die Geschichte unserer Zerbrechlichkeit geprägt, und nur dank der Verbindung von Denken und Sprache haben wir uns von maßlosen Ängsten und Glaubensvorstellungen befreien können, wobei das Glauben um so maßloser war, je größer die Angst.

Das heißt, wir können nur auf wenige Dinge stolz sein, aber zu diesen Dingen gehört, daß uns das Kunststück gelungen ist, uns von der Angst vor den anderen und den Dingen zu befreien, indem wir ihnen Namen gaben; von der Angst vor dem Verhältnis Raum/Zeit, indem wir uns imaginäre Linien und Ortsnamen ausgedacht haben; und von der Angst vor der Zeit, indem wir sie in das Labyrinth des Kalenders eingesperrt haben. Ein wichtiger Schritt besteht nach meiner kleinen persönlichen und eklektischen Philosophie darin, daß einige von uns zu bestimmten Zeiten die Einsamkeit und Sinnlosigkeit des Lebens auf sich genommen haben, während wir doch zu allen religiösen Festlichkeiten der Vorsehung und der Enthüllung ihrer Wahrheiten, fast immer in Cinemascope und Stereo, eingeladen waren.

Im Laufe der Jahrhunderte hatten Götter und Priester einander ergänzt und abgelöst, um zu verhindern, daß wir unsere ursprüngliche Einsamkeit entdecken und um den beeindruckenden kulturellen Wert zu verleugnen, den das Soziale als intelligenter — und hoffentlich eines Tages auch freier — Pakt bekommt, so daß wir entweder dem Leben durch Solidarität und Geschichte einen Sinn abgewinnen oder endgültig auf jegliches positives Kalkül verzichten, indem wir uns auf Zynismus oder einen freien Nihilismus beschränken, den wir uns selbst oder den anderen immer schon als geistiges Abenteuer darstellten, das zu allen möglichen Formen des Selbstmords führte.

Porträt des Künstlers, der ernsthaft die Götter herausfordert. Eine romantische Pose, die sogar ein paar leicht jesuitische und schmeichlerische Priester überzeugte, die hinter der prometheischen Rebellion des zeitgenössischen Künstlers die Furcht des verängstigten Ungläubigen ahnten, der ganz anders und viel angenehmer als der furchtlose Ungläubige ist, ein Mensch von grenzenloser Unverschämtheit, der natürlich die Strafe aller Arten von Göttern verdient.

Nach Jahrhunderten unterschiedlichster Inquisitionen war für den Künstler, der die Götter ernsthaft herausfordert, die Stunde gekommen, in der er einen privilegierten Status erhielt, so als ob er in einer Welt, die sich in einen Supermarkt von Glaubensvorstellungen verwandelt hat, ein Spezialist für Agnostizismus wäre; aber an diesen privilegierten Status zu glauben, war Teil unserer Fähigkeit zum Selbstbetrug. Wir glaubten, daß wir unter vielen Mühen ein wohlverdientes agnostisches Territorium gewonnen hätten, ohne zugunsten der von den Göttern und ihren Priestern gepeinigten Menschheit Schadensersatz zu verlangen.

Es genügte uns, daß man uns den Sarkasmus als relative Genugtuung ließ, und nie fiel es uns ein, den Papst in Rom zum Tode zu verurteilen, ebensowenig wie den Großmufti von Jerusalem, den Patriarchen von Moskau oder den ayatollsten der Ayatollahs. Wir ließen sie ihr religiöses Lehramt ausüben, umgeben von Gläubigen und tellurischen Befriedigungen, und machten uns höchstens einmal lustig über die zu nehmende semantische Sinnlosigkeit der Religionen, die erstaunlichen Wortreserven und veralteten Erklärungen. Wir haben ihnen den Sadismus verziehen, den sie in ihrer Arroganz als Mittelsmänner der Götter in unserer Kindheit an uns ausgelassen haben, und daß sie uns mit einer Autorität, die wir nicht in Frage stellen konnten, Schrecken und Hoffnungen einprägten, die für unser Alter maßlos waren. Wir haben nachsichtig die zahllosen Albernheiten belächelt, die heute nicht einmal ein vernunftloses Tier akzeptieren würde, solange es nur einen seiner Sinne beisammen hat, und wenn wir Erklärungen zu ihren Göttern abgaben, dann haben wir sie ihnen deshalb großzügig überlassen, weil sie auf sie zugeschnitten waren und jeder sich retten soll, wie er kann.

Aber dann haben Sie, Herr Rushdie, Ihre Satanische Verse veröffentlicht, und die Mittelsmänner der Götter nutzten die Gelegenheit, um das Instrument des irrationalen Terrors zurückzugewinnen, so wie sie die Angst vor Aids ausgenutzt haben, um die sexuelle Freiheit zu zerstören, die durch Geburtenkontrolle möglich wurde, oder den Fall der Berliner Mauer, um die Mauern der Moscheen, Synagogen und Kathedralen um so höher zu ziehen. Auch wenn Ihr Todesurteil offen ausgesprochen wurde und auf einem sich ausbreitenden Fanatismus beruht, der sich als Antiimperialismus verkleidet hat, fühlten sich im Grunde alle Mittelsmänner der Götter durch dieses Urteil mitvertreten; ein Urteil, durch das etwas, das man früher heilige Gottesfurcht nannte, wieder hergestellt wurde und diejenigen, die sich zu sehr von den religiösen Vorschriften befreit fühlten, davon wieder abgebracht wurden. Ihr Todesurteil reichte aus, um das mühsam errichtete Gebäude der Rationalität zerfallen zu lassen, und diese Reaktion erschien so maßlos, daß man sie für unglaublich hielt und hält, solange bis man Sie wirklich tötet.

In den anderen institutionalisierten Religionen gab es wohlüberlegte Äußerungen, die den heiligen Mord verurteilten, aber begleitet von dem widerlichen common sense, der darauf hinweist, daß Sie den common sense übertreten und die Gläubigen beleidigt hätten. Werden nicht vielmehr wir, die Nicht-Gläubigen, durch einen Diskurs beleidigt, der uns als archaisch und unvereinbar mit jedem Anspruch auf Freiheit erscheint? Die Mittelsmänner der Götter geben zu, daß es einen religiösen Kriterienkatalog gibt, mit dem jede Religion die andere abkanzelt, so ökumenisch sich die Heiligkeiten auch geben. Aber es handelt sich um einen Streit zwischen Gläubigen, um die Ausübung eines Pakts unter Gläubigen, die angesichts der obszönen und verhaßten Andersartigkeit der Ungläubigen alte Rechnungen begleichen.

Sie übernehmen sogar die Verantwortung für die Religionskriege, die in der Vergangenheit die Heiligen einer anderen Religion in gekreuzigtes oder geröstetes Fleisch verwandelten, weil Reinigungen Gott ehren, wo immer sie auch herkommen oder um welchen Gott es sich auch handelt. Was sie ärgerte, war der kleine sarkastische Stolz des Sklaven der Religion, der sich von seinem Nasenring befreit hatte und ihnen den unschuldigen Zerrspiegel der Satire vorhielt, vielleicht weil sie im Innersten die Furcht hegen, daß dieser Zerrspiegel ihr Selbst angemessen reflektiert.

Angesichts der beschwerlichen Lage, in der Sie als Geisel leben, und der Unmöglichkeit, Sie gegen irgend jemand oder irgend etwas auszutauschen, sind Sie der Geist des Laizismus, der zum Tode verurteilt wurde, damit sich im nächsten Jahrtausend die Bedingungen wiederherstellen lassen, die seinerzeit den eingeschüchterten Affen in den religiösen Affen verwandelten, und ich verstehe, daß Sie es denen nicht leicht machen wollen, Sie zu töten, doch können Sie, vermute ich, manchmal die scheinbare Waghalsigkeit der Filmhelden nachfühlen, wenn Sie ihren Kopf oder Oberkörper über die Brüstung heben, jedenfalls so lange, bis Sie merken, daß Sie auf die Hilfe keines Drehbuchautors zählen können.

Der Drehbuchautor ist nicht auf Ihrer Seite. Im besten Falle versucht er, Ihr Leben zu verlängern, aber falls es zum bitteren Ende kommt, würden Sie den Staatshaushalt entlasten, und das Geld, das Ihre Bewachung kostet, könnte in die Modernisierung der örtlichen Kirchen und in Spione investiert werden, die die Reihen des islamischen Fundamentalismus infiltrieren. Sind Sie nicht letzten Endes, so denkt der Drehbuchautor, für Ihre Handlungen und die Konsequenzen Ihrer Handlungen selbst verantwortlich? Lohnt es sich, auf Ihr Leben zu setzen, auf die Gefahr hin, daß der Erdölpreis ins Schlingern gerät oder die islamischen Fundamentalisten aggressiver gegen Touristen werden, die Teppiche und Safran kaufen?

Der Drehbuchautor denkt, daß Sie die defensive Funktion der Sprache überschritten haben und daß es richtig ist, Ihnen Furcht einzuflößen, Sie Ihrem Glauben abschwören zu lassen, keinen Glauben zu haben, und Ihrem Recht, die Worte als Proklamation der Einsamkeit und damit der Freiheit zu nutzen. Wird angesichts der hochmütigen Versuchung, die Unordnung zu entdecken, die jede Ordnung verdeckt, nicht alles auf die Rückkehr zur natürlichen Ordnung der Dinge gesetzt? War es nicht notwendig, den Verfallsprozeß aufzuhalten, der in dem Augenblick begann, als die Frucht vom verbotenen Baum gegessen wurde, und zuzugeben, daß die Entfremdung genügend aufgehoben ist, wenn man einen Herrn hat, den man nicht sieht?

Es tut mir sehr leid, Herr Rushdie, Ihnen eine so schlechte Begleitung zu sein, aber das Drehbuch zu dieser Jahrtausendwende gefällt mir nicht, und ich weiß nicht, was ich tun kann, um Sie aus Ihrem Gefängnis herauszuholen, wohl wissend, daß diese Art von Briefen höchstens einen gewissen kollegialen Trost übermittelt und dann in den Zeitungsarchiven begraben bleibt, für die Neugier künftiger Anthropologen, die sich dem Studium einer kurzen und sonderbaren Periode der Kulturgeschichte widmen, in der es die Künstler gewagt haben, die Götter ernstlich herauszufordern, die sich jenseits der Menschenrechte in den Rechten des Autors breitgemacht haben.

Aus dem Spanischen von Gabriele Ricke