Der dritte Flop des Guido Kratschmer

■ Zwei Olympische Spiele gingen dem Ex-Zehnkampf-Weltrekordler wegen Boykott und Verletzung durch die Lappen, nun wollte er als Bremser im Viererbob nochmals zu Olympia — und scheiterte

Mainz (taz) — Vom Äußeren erinnert er mehr an Rübezahl als an eine ehrfurchtgebietende Durchlaucht — vollbärtig, untersetzt, stämmig und muskulös. Doch er war einst der König der Athleten: Zehnkämpfer Guido Kratschmer, ehemals Weltrekordhalter in der härtesten Disziplin der Leichtathletik.

Trotz aller Triumphe war kaum einer in seiner Sportlerkarriere so vom Pech gebeutelt wie Guido Kratschmer. Als Leichtathleten blieben dem Mann vom USC Mainz zwei Olympiateilnahmen verwehrt: 1980 mußte er erzwungenermaßen wegen des Moskau-Olympiaboykotts wieder abtrainieren, 1988 riß ihm die Achillessehne und verdarb ihm den würdigen Abschluß einer großen Karriere. Verletzungen machten ihn schon bei den Europameisterschaften 1978 in Prag und 1986 in Stuttgart zum Zuschauer. Dafür errang er bei der Olympiade in Montreal 1976 die Silbermedaille. Acht Jahre später, 1984 in Los Angeles, reichte die Form des Ausnahmeathleten immer noch für den vierten Platz.

Heute ist Guido Kratschmer 38 Jahre alt. Und träumt immer noch von Olympia. Nicht mehr als Zehnkämpfer, aber Alt-Kollege Edwin Moses, der unerreichte 400-Meter- Hürdenläufer und das ewige Schreckgespenst von Harald Schmid, brachte ihn auf eine Idee: Zum Bobsport könnte es noch reichen. Als Bremser stieg er zu Rudi Lochner aus Königssee in den Vierer-Bob. Damit schien Kratschmers Albertville-Reise gesichert.

Anfänglich, beim Weltcup, war Zweier-Weltmeister Lochner auch noch erfolgreich. Doch als es um die Olympiaqualifikation ging, lenkte er zusehends nervös. Zu lahm rutschte der Bob für Olympia. Für Guido Kratschmer ging damit die dritte Olympiade in die Hose. Doch der gleichermaßen gutmütige wie wettkampferfahrene Athlet zeigt Verständnis: „Rudi stand unter Druck und brachte deshalb nicht das, was er kann.“ Für den Pilot Lochner ist die Pleite nur halb so schlimm, als amtierender Weltmeister wurde er für den Zweierbob nominiert.

Der von olympischen Schicksalsschlägen heimgesuchte Kratschmer übt sich derweil in Gelassenheit: „Mir war von Anfang an klar, daß die Chancen 50 zu 50 stehen. Mit dem Gedanken, daß es mit der Olympiaqualifikation nichts wird, habe ich mich schon seit längerer Zeit auseinandergesetzt.“

Für ihn war der Ausflug in die Bobfahrerszene im nachhinein „eine schöne Abwechslung in einer reizvollen Atmosphäre“. Rückkehr nicht ausgeschlossen. „Wir haben uns noch nicht darüber unterhalten, aber das kann schon sein.“ Vielleicht wird Kratschmer im nächsten Winter erneut die Lochner-Crew bremsen. Denn das Kribbeln im Bauch, wie Sportler es brauchen, um gut zu sein, hat sich wieder eingestellt. Wie früher, oder doch anders: „Viererbobfahren ist ein Mannschafts-Wettkampf, da ist man auf ganz andere Art nervös als beim Zehnkampf.“ Ein faszinierendes Gefühl. „Zum Schluß hat es immer mehr Spaß gemacht“, sagt der einstige Zehnkämpfer, dessen früherer Trainer Karl Zilch nun mit dem WM-Zehnten Thorsten Dauth abermals einen Weltklasseathleten betreut.

Die Olympischen Winterspiele wird Kratschmer im Fernsehsessel zubringen müssen. Doch die Sportklamotten liegen bereit: eine Woche Skiurlaub, danach Trainingskurse mit Freizeitsportlern auf Lanzarote an der Seite von Heike Drechsler und Susen Tiedke, und dann noch zwei Wochen Türkei als Konditionstrainer für Tennisspieler. Auch ohne Bobfahren — den Winter übersteht Guido Kratschmer allemal. Andreas Singler/miß