DEBATTE
: Ecu nach Moskau?

■ Westeuropa muß sich an einer neuen Währungsordnung in der GUS beteiligen

Kann der Westen gegen die Desorganisation des Handels in der ehemaligen Sowjetunion etwas Nützliches tun? Um diese Frage zu beantworten, muß man die Folgen bewerten, die aus der Zerstörung der Unionsstrukturen entstanden sind.

In der allgemeinen Krise des sowjetischen Systems verbindet sich der Autoritätsverlust des Staates innerhalb der einzelnen Republiken mit einem drastischen Rückgang des kommerziellen Warenaustauschs zwischen ihnen. Die neuen Republiksautoritäten sind bis heute nicht in der Lage, Steuern einzutreiben und Regeln zur Privatisierung der Wirtschaft aufzustellen. Preissteigerungen nähren sich aus der Monetarisierung der öffentlichen Haushaltsdefizite und der Explosion kurzfristiger Bankkredite, mit denen spontane Privatisierungen jenseits jeglicher Konkurrenz finanziert werden.

Die Hyperinflation zerstört das Vertrauen in den Rubel; dies provoziert das Auseinanderfallen der Wirtschaft und die Stärkung kleinräumiger Autarkien. Wer über Güter verfügt, strebt nicht gerade deren Verkauf gegen Rubel an. So greift der Naturalienhandel zwischen autonomen Regionen um sich, und die Produktion stürzt rapide ab.

Die Suche nach der nationalen Souveränität

Dies ist die Lage. Grundlage für jeglichen Fortschritt zu einer funktionierenden Marktwirtschaft ist die Autorität des Staates innerhalb der Republiken. Um Wirtschaftsreformen zum Erfolg zu führen, muß zuvor die für den Rechtsstaat charakteristische Gewaltenteilung realisiert sein. Neue Verwaltungen, besetzt mit integren und kompetenten Beamten, müssen geschaffen sein. Diese Transformationen brauchen viel Zeit und werden nicht überall erfolgreich sein. Gefördert werden können sie nur durch die soziale Kraft des Nationalismus. Aber dieser ist auch eine Quelle von Konflikten zwischen den verschiedenen Republiken.

Denn die neuen Nationen konstituieren sich auf der Basis ihrer gegenseitigen Rivalitäten. Äußere Bedrohung, ob erlitten oder provoziert, ist der Zement, mit dem der Staat sich gegenüber den zentrifugalen Kräften in seinem Inneren durchsetzt. Im wirtschaftlichen Bereich wird die nationale Souveränität durch die Währung unterstrichen. So führt die Entwicklung der Krise zur Einführung mehrerer nationaler Währungen — und sicher auch zur gegenseitigen Abwendung Rußlands und der Ukraine.

Dies ist ein wünschenswerter Trend. Denn die Aufrechterhaltung einer wertlosen gemeinsamen Währung in der gesamten GUS wäre die schlechtestmögliche Konstellation. Da die neuen Nationen ihre Souveränität unterstreichen wollen, würden sie die Kontrolle ihrer eigenen makroökonomischen Stabilität nicht Rußland überlassen wollen. Aber wenn alle Republiken bei der Emission derselben Währung gegeneinander konkurrieren würden, hätte jede einzelne das Interesse, soviel Kontrolle wie möglich bei sich zu behalten, und würde dabei voraussetzen, daß die eigene Emission neuer Geldscheine den Wert dieser Scheine in der gesamten GUS nicht stark beeinflussen würde. Die Währungsstabilität würde sich rasch als unmöglich erweisen, und die Republiken, die den Kampf gegen die Hyperinflation am ernstesten nähmen, hätten ein Interesse daran, aus der Gemeinschaft auszutreten. Da der alte Rubel seine Legitimität verlöre, wäre es irrational, reale knappe Güter gegen wertlose Rubel zu exportieren. Das ist der Grund, warum der Versuch, die gemeinsame Währung zu erhalten, zur Implosion des kommerziellen Warenaustausches führt.

Die GUS hat keine Zahlungsmittel

Wenn nationale Währungen, die nicht konvertibel sind, den alten Rubel ersetzt haben, wird der Warenaustausch zwischen den Republiken immer noch spontan zum Naturalienhandel tendieren. Aufgrund der Knappheit akzeptierter Zahlungsmittel würde es zu Importverweigerungen kommen; das würde den Austausch weiter schrumpfen lassen. Damit wäre jedoch die Natur des Konfliktes eine andere — und hier könnte der Westen nützlich eingreifen, denn es wird möglich, Zahlungsmittel zu konzipieren und finanziell zu unterstützen, die für naturalienmüden Republiken annehmbar sind.

Effektive Zahlungsmechanismen sind unverzichtbar, soll der Warenaustausch innerhalb der GUS liberalisiert und wieder zum Leben erweckt werden. Wie sollen sie Wirklichkeit werden, wenn die Währungen der Republiken nicht angenommen werden und die Devisenreserven zu diesem Zweck nicht ausreichen? Es gibt zwei mögliche Auswege: Einerseits die Etablierung einer Zahlungsunion, andererseits die Bildung einer Rubel-Zone. Für beides gibt es historische Vorbilder: Die Europäische Zahlungsunion, die in den 50er Jahren in Westeuropa gebildet wurde, und die Sterling-Zone im britischen Commonwealth. Beide sind Übergangszustände, die auf die Schaffung der Bedingungen für eine zukünftige Konvertierbarkeit der Republikwährungen orientieren. Beide benötigen Finanzhilfe aus dem Westen. Doch die politischen Implikationen sind jeweils verschieden.

Die Zahlungsunion ist eine Garantie des Warenaustauschs und gleicher Kreditbedingungen für alle Republiken, die an ihr beteiligt sein wollen. Die Rubelzone fördert absichtlich die wirtschaftliche Hegemonie Rußlands in der GUS. Bei der Analyse der Charakteristiken beider Wege kann man das Interesse der Republiken an einem Engagement und die Natur der westlichen Beteiligung einschätzen.

Eine Zahlungsunion ist ein regionales Währungssystem, das die Finanzierung des Warenaustauschs ermöglicht, indem Devisen eingespart werden. Dieses System ist effizient zwischen Ländern, die noch nicht über funktionierende Devisenmärkte verfügen und deren Handel miteinander ein größeres Ausmaß hat als der Handel mit dem Rest der Welt. Zahlungen werden in das Netzwerk der verschiedenen Zentralbanken eingeführt. Die Zahlungsunion macht daraus ein multilaterales Netzwerk und stärkt die makro-ökonomische Einheitlichkeit der Zone auf drei Arten: Nach einem festgesetzten Abrechnungszeitraum werden die Handelsströme zentral untereinander abgeglichen und kompensiert; die Überschüsse daraus werden nach festen Prinzipien verteilt; ein Unionsrat ist mit der Koordinierung und multilateralen Überwachung der Anpassungsmaßnahmen der Mitgliedsländer beauftragt.

Für einen Unionsrat mit westlicher Beteiligung

Um diese Union lebensfähig zu gestalten, muß der Westen sich verschiedentlich daran beteiligen. Erstens muß eine gemeinsame Rechnungseinheit gefunden werden, gegen die die Mitgliedsländer ihre Wechselkurse festlegen können. Es wäre wünschenswert, wenn dies der Ecu sein könnte — in der Perspektive einer späteren Öffnung nach Zentraleuropa und der Wirtschafts- und Währungsunion.

Zweitens könnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ihre Erfahrung und technischen Mittel als zentraler Kompensationsagent zur Verfügung stellen.

Drittens obliegt die Einrichtung von Regeln für die Finanzierung der Haushaltsdefizite der Mitgliedsländer einem Fonds, der gleichermaßen den GUS-Staaten wie auch den westlichen Regierungen, die sich mit Devisen an seinem Kapital beteiligt haben, gehört. Von der Größenordnung des westlichen Anteils hängt die optimale Dosierung zwischen gewährten Krediten und verlangten Rückzahlungen ab, die den Kompromiß zwischen Schuldnern und Geldgebern herstellt.

Viertens und letztens würde die Anwesenheit von Vertretern des Westens im Unionsrat das Mißtrauen der westlichen Nationen gegenüber einer russischen Vorherrschaft in dieser supernationalen Instanz beheben. Michael Aglietta

Der Autor ist Professor für Ökonomie in Paris- Nanterre und unter anderem Verfasser des Buches „A Theory of Capitalist Regulation“. Leicht gekürzt aus: Le Monde, 4.2.1992. Übersetzung: D.J.