Bewährungsstrafe gegen Mauerschützen

Im zweiten Mauerschützenverfahren verhängte das Gericht Bewährungsstrafen gegen zwei frühere DDR-Grenzsoldaten/ Kammer distanzierte sich von Urteilsbegründung im ersten Mauerschützenprozeß  ■ Aus Berlin Ute Scheub

Einen schalen Nachgeschmack hinterließ diesmal nur die Presse, die mit Kameras bewaffnet vor dem Gerichtssaal alle Prozeßbeteiligten fast erdrückte. Ansonsten aber grenzte sich die 18. Strafkammer des Berliner Landgerichtes bei der gestrigen Urteilsverkündigung gegen zwei ehemalige DDR-Grenzsoldaten sowohl im Strafmaß als auch in ihrer rechtlichen Würdigung gegen den Richterspruch im ersten Mauerschützenprozeß deutlich ab.

War damals vor der 23. Strafkammer der für Richter feststehende Todesschütze noch zu dreieinhalb Jahren Knast verurteilt worden, so erhielt nun der zur Tatzeit 20jährige Postenführer Udo Walther nur anderthalb Jahre Jugendstrafe auf Bewährung, obwohl auch er in einer Dezembernacht 1984 den tödlichen Schuß auf den Flüchtling Horst- Michael Schmidt abgegeben hatte. Gegen den damaligen Soldaten Uwe Hapke, der wie Walther Dauerfeuer aus seiner Kalaschnikow abgegeben und den Flüchtenden am Knie getroffen hatte, wurde ein Jahr und neun Monate auf Bewährung verhängt.

Gleichzeitig gab die Kammer bekannt, daß Ermittlungsverfahren gegen zwei Vorgesetzte der Angeklagten wegen Verdachts auf unterlassene Hilfeleistung eingeleitet worden sind. Diese sollen den schwerverletzten Flüchtling über eine Stunde an der Berliner Mauer liegenlassen und erst dann in das ferne Krankenhaus der Volkspolizei transportiert haben, obwohl laut Sachverständigenurteil sein Leben „mit Sicherheit“ hätte gerettet werden können, wenn er sofort in die nächstgelegene Klinik gekommen wäre.

Die Urteilsfindung sei deshalb „besonders schwierig“ gewesen, so die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien, weil neue rechtliche Wege hätten gefunden werden müssen, über die letztlich der Bundesgerichtshof und womöglich auch das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben. „Eine Art Abrechnung der Sieger mit dem Besiegten“ solle dieser Prozeß aber keinesfalls sein, „Jeder Mensch sollte sich die Frage stellen“, wie er in einer ähnlichen Situation gehandelt hätte. Da die Angeklagten aber Zivilcourage vermissen ließen und „in einer Art vorauseilendem Gehorsam“ nach der Abgabe von Warnschüssen sogleich auf Dauerfeuer umgeschaltet hätten, seien sie schuldig geworden.

Es gehe „hier nicht um Heldenmut“, denn beide „hatten dreimal die völlig ungefährliche Möglichkeit, sich anders zu entscheiden“: „Sie hätten schon zu Beginn ihres Dienstes die Frage, ob sie auf sogenannte Grenzverletzer schießen würden, verneinen können; sie hätten das Schießen dort verweigern können und wären vielleicht beim Küchendienst gelandet; und sie hätten daneben schießen oder gezielt Einzelfeuer auf die Füße abgeben können.“

Gleichzeitig aber kritisierte die Kammer die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft und ihrer Richterkollegen im ersten Mauerschützenprozeß, wonach das DDR-Strafrecht, das „ungesetzlichen Grenzübertritt“ als Verbrechen wertete, für die Angeklagten als Verstoß gegen die Menschenrechte hätte erkennbar sein müssen. Der betreffende Paragraph sei zwar „sicher ein hartes und ungerechtes Recht“ gewesen, aber er habe nicht gegen das Völkerrecht verstoßen. Folglich habe sich die versuchte Mauerüberwindung des Michael Schmidt den Angeklagten als „Verbrechen“ dargestellt, das sie mit einer Schußwaffe hätten ahnden dürfen.

Doch die Vorschrift für Grenzsoldaten hieß: „Bei einer Anlegung der Schußwaffe ist das Leben nach Möglichkeit zu schonen.“ Die Angeklagten hätten ihren Handlungsspielraum nicht genutzt. Unter anderem wegen ihrer sichtlichen Reue seien aber mildernde Umstände zuzubilligen. Der Vater des getöteten Michael Schmidt kritisierte das Urteil als „unangemessen“, die Schüsse seien Mord gewesen. Die Verteidigung kündete Revision an.