GASTKOMMENTAR
: Auswege aus der Steinzeit

■ Frauen müssen auf dem Arbeitsmarkt der Ex-DDR ihre Interessen vertreten

Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern nimmt trotz des Bonner Optimismus immer gravierendere Formen an. Die neuen Arbeitsmarktzahlen haben dies bewiesen: Die Arbeitslosen Brandenburgs können inzwischen eine Menschenkette bilden, die von Perleberg im Nordwesten bis Spremberg im Südosten reicht. Frauen trifft die Arbeitslosigkeit bekanntermaßen besonders hart: In Brandenburg gibt es mittlerweile 124.000 arbeitslose Frauen. Damit ist die Quote bei den Frauen auf über 20 Prozent geklettert, ihr Anteil an den Arbeitslosen beträgt nunmehr 60 Prozent. Ein äquivalentes Bild bietet sich bei der Vergabe von ABM-Stellen: 58,4 Prozent gingen an Männer.

Ich kann sehr gut verstehen, daß viele Frauen in den neuen Ländern beklagen, es sei ihnen zu DDR- Zeiten besser gegangen. Es ist schwer zu begreifen, daß Berufstätigkeit nicht selbstverständlich ist, daß es einen harten Konkurrenzkampf mit Männern um die immer knapper werdenden Arbeitsplätze gibt. Wieviele Frauen müssen erleben, daß sie sich auf dem Arbeitsamt geradezu entschuldigen müssen, wenn sie verheiratet sind und der Mann noch Arbeit hat? Sie erleben, daß Mutterschaft eine Behinderung auf dem Arbeitsmarkt bedeutet. Eine Folge: In Brandenburg sind die Geburtenzahlen um ein Drittel zurückgegangen. Alleinerziehende Mütter sind so gut wie chancenlos. Frauen über 40, die in der DDR als besonders tüchtige Arbeitskräfte galten, sind jetzt trotz hoher Qualifikation zum alten Eisen gestempelt.

Die steinzeitliche „Zurück-an-den-Herd“-Politik der Bundesregierung hat viele Frauen verunsichert. Mich macht es wütend, daß offensichtlich Arbeitslosigkeit von Frauen in der Öffentlichkeit als weniger dramatisch angesehen wird als die von Männern. Deutlich wurde das zum Beispiel. durch die Reaktion der Öffentlickeit auf die Besetzung der Männerdomäne Stahlwerk Henningsdorf. Das Sterben der Textilindustrie im südöstlichen Brandenburg und in Sachsen hingegen geht schweigend vonstatten. Oftmals wird so getan, als gebe es für all das keine Lösungen. Dem muß vehement widersprochen werden!

Lange fällig war die Aufhebung eines Symbols der Diskriminierung, des Nachtarbeitsverbots für Frauen. Eine der Forderungen der ersten Frauenministerinnenkonferenz, die im November in Potsdam stattfand, ist damit erfüllt. Nun ist der Bundesgesetzgeber gefordert, einen effektiven Nachtarbeitsschutz zu regeln. Wir benötigen bei der anstehenden Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes — auch das eine der Forderungen — die konsequente Berücksichtigung der Interessen der Frauen. Dies betrifft vor allem Leistungen der Arbeitsförderung. Ältere Arbeitnehmerinnen über 40 sollten, wie bereits in Brandenburg praktiziert, produktionsorientiert gefördert werden. Die Beschneidung der ABM durch Herrn Waigel hat auch gravierende Auswirkungen bei der Förderung von Frauenprojekten. Sie muß rückgängig gemacht werden! Grundvoraussetzung für eine Gleichstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist eine Garantie der Kinderbetreuung. In Brandenburg wird es einen Rechtsanspruch auf Kita-Plätze geben — doch wie sieht es bundesweit aus?

Eines müssen alle Frauen begreifen: Die vielfältigen Forderungen sind nur durchsetzbar, wenn die Frauen sich auch selbst zu Wort melden, und zwar lautstark. Im Interesse der Zukunft der Frauen (nicht nur in den neuen Bundesländern) müssen Parteischranken fallen, spätestens jetzt! Regine Hildbrand

Die Autorin ist SPD-Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg.