piwik no script img

Generalprobe zum Sturz der Front

■ Am 9. Februar sind Kommunalwahlen in Rumänien/ Der „Demokratische Konvent“, das Bündnis der Opposition, hofft auf einen Wahlsieg/ Gestorbene tauchen auf Wahllisten auf, Jugendliche fehlen

Berlin (taz) — Das Faschingsspektakel, wie viele Rumänen den seit Wochen im Fernsehen übertragenen Wahlkampf bezeichnen, ist zu Ende. Am Sonntag, dem 9.Februar, finden nun die ersten freien Kommunalwahlen nach dem Sturz des Ceausescu- Regimes im Dezember 1989 statt. Bekanntlich war es bei den Parlamentswahlen am 20. Mai 1990, als die charismatische Front zur Nationalen Rettung die Mehrheit errang, nicht immer mit rechten Dingen zugegangen. Damals, so fand die demokratische Opposition heraus, seien Wahlurnen vertauscht und Stimmzettel gefälscht worden.

Auch die populistischen Versprechungen der Regierungspartei wurden in den vergangenen zwei Jahren nicht eingelöst. Im Gegenteil, die allgemeine wirtschaftliche Krise erinnert fatal an die Ceausescu-Zeit. Ehemalige Frontsympathisanten und -wähler trauern bereits laut der „guten alten Zeit“ nach, als es wenigstens mit der Grundnahrungsmittelversorgung geklappt hat. Scharenweise pilgern sie nun an das Grab Ceausescus. Von Iliescu und der Front fühlen sie sich verraten. In die demokratische Opposition haben sie kein Vertrauen: „Die lügen alle, deshalb gehen wir auch nicht wählen.“

Kurz vor Abschluß der Wahlkampagne wandte sich deshalb die Altdissidentin Doina Cornea in einem pathetischen Appell an die „Enttäuschten“: Dem Urnengang fernzubleiben, vergrößere lediglich die „Siegeschancen der Untauglichen“. Gemeint sind sowohl die Kandidaten der Front als auch jene der extremistischen Parteien, die mit ihrer populistischen und ultranationalistischen Kampagne gerade auf die „Enttäuschten“ eine fast magische Wirkung ausüben. Die Probleme Rumäniens können nach Auffassung der Bürgerrechtlerin nur durch eine Wiederbesinnung auf christliche Werte und die Monarchie gelöst werden. Seelisch erhebende Wirkungen versprechen sich viele Politiker auch von der sofortigen „Vereinigung Rumäniens mit der Moldau“. In diesem Punkt treffen sich die Auffassungen sämtlicher Parteien. Nur Iliescu und sein moldauischer Amtskollege Snegur warnen vor einer „überstürzten“ Union.

Schrille nationalistische Töne waren während der Wahlkampagne vor allem aus den Reihen der neofaschistischen Partei Groß-Rumänien zu hören, die schon in ihrem Parteiprogramm die „Gründung einer starken Armee und eines Nationalkomitees zur Untersuchung antirumänischer Aktivitäten“ forderte. „Wissen Sie, was die Partei Groß-Rumänien tun wird, wenn sie an die Macht kommt?“, fragte ihr Hauptorgan 'RomÛnia Mare‘. „Sie wird allen ungarischen Faschisten die Haut abziehen und sie mit Fußtritten über die Grenze jagen, bis sie in ihrem Stall, Ungarn genannt, ankommen!“ Der Spitzenkandidat der Partei Groß-Rumänien für das Amt des Bukarester Bürgermeisters ist Radu Theodoru, Oberst i.R., zeitweilig Direktor der vom ehemaligen Premier Ceausescus, Ilie Verdet, gegründeten Zeitung 'Socialistul‘ (Der Sozialist) — das Zentralorgan der Nachfolge-KP, der Soziaistischen Partei der Arbeit. Theodoru ist einer der Kolumnisten der 'RomÛnia Mare‘, der sich in seinen Artikeln sämtlicher Klischees aus dem klassischen Arsenal des Antisemitismus bedient. Die Juden versuchten, so seine Auffassung, nach der Revolution Rumänien in eine Kolonie Israels zu verwandeln.

Ähnliche Argumente benutzen auch die Vertreter der Nationalen Einheitspartei der Rumänen (die politische Speerspitze der neofaschistischen Massenorganisation „Vatra RomÛneasca“ — Rumänische Heimstätte), aber auch die im sogenannten „Demokratischen Block der Linken“ zusammengefaßten Parteien. Die merkwürdige Vermischung ideologischer Grenzen zwischen sogenannten linksextremen und rechtsextremen Parteien durch eine faschistoiden Konsens führte beispielsweise zu einem Wahlbündnis gerade dieser erwähnten radikalen Gruppierungen in Tirgus Mures. Ziel ist, die demokratische Ungarische Union aus dem Sattel zu heben. Den verbündeten radikalen Gruppierungen — der Nationalen Einheitspartei der Rumänen, der Vatra RomÛneasca, der Demokratischen Agrarierpartei, der Partei Groß-Rumänien, der Freien Veränderungspartei und dem Petre Roman ergebenen Flügel der Front — war es im Vorfeld zu den Kommunalwahlen sogar per Gerichtsbeschluß gelungen, ein Kandidaturverbot für das Bürgermeisteramt von Tirgu Mures zu erwirken. Stefan Kiraly, der Kandidat des Ungarischen Verbands, protestierte vergeblich. Bereits 1990 hatte es in der von blutigen ungarisch-rumänischen Ausschreitungen erschütterten Stadt einen derartigen Präzedenzfall gegeben. Damals durfte die Bürgerrechtlerin Smaranda Ebnache nicht kandidieren.

Derweil hat der „Demokratische Konvent“ — ein aus 14 Parteien und Gruppierungen zusammengesetztes Wahlbündnis, dem unter anderem die Christdemokratische Nationale Bauernpartei, die Nationalliberale Partei, die Bürgerallianz-Partei, der Demokratische Verband der Ungarn Rumäniens, die Sozialdemokratische Partei angehören — sich zum Ziel gesetzt, die mafiaähnlichen, von der Front aufrechterhaltenen Verwaltungsstrukturen zu zerstören. Der „Demokratische Konvent“, auf dessen Listen Leute stehen wie der bekannte Oberst Viorel Oancea, der sich als einer der ersten Militärs geweigert hatte, in Temeswar auf die Aufständischen zu schießen (taz vom 23.Januar 1990), hofft nun auf lokaler Ebene einen ersten Durchbruch zu schaffen. Ob die durch Flügelkämpfe und Abspaltungen gebeutelte Regierungspartei ihr Machtmonopol auch nach den Lokalwahlen aufrecht erhalten kann, ist schwer vorauszusagen. Die aus aller Welt eingetroffenen Wahlbeobachter hatten bereits im Vorfeld der Kommunalwahlen die Tatsache kritisiert, daß beispielsweise alle Studenten an ihren festen Wohnorten (und nicht in den Universitätszentren), die Soldaten hingegen in ihren Kasernen wählen müssen/dürfen. Rumänische Bürgerrechtsgruppen hatten außerdem herausgefunden, daß mancherorts schon vor Jahren verstorbene Bürger auf den Wählerlisten auftauchen, Jugendliche jedoch oft auf diesen Listen fehlen. William Totok

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen