Die Demokraten im Spagat

Eine Woche vor den ersten Vorwahlen im US-Wahlkampf in New Hampshire mangelt es der Demokratischen Partei an kühnen Entwürfen und überzeugenden Kandidaten  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Eigentlich müßte dies die Stunde der Demokraten sein. Präsident George Bush befindet sich im freien Fall der Meinungsumfragen und läßt keine Gelegenheit aus, seine Schwächen offen zur Schau zu stellen. Seine Handelsreise nach Japan kam im Januar einer peinlichen Erniedrigung Amerikas gleich, und auch sein mit dem neuen Haushalt großangekündigtes Wachstumsprogramm sorgte jetzt für wenig Vertrauen in die wirtschaftspolitische Kompetenz des Präsidenten. Selbst in der Republikanischen Partei wird George Bush bei den kommenden Vorwahlen in New Hampshire von einem Gegenkandidaten herausgefordert.

Doch wer knapp eine Woche vor dem ersten Vorwahlgang in dem Rezessions-Staat Neuengland glaubt, die Demokraten sähen bei der Ermittlung ihres Präsidentschaftskandidaten schon wie bedrohliche Gegner George Bushs aus, der sieht sich getäuscht. Denn wer auch immer am 18. Februar bei den Demokraten als Sieger aus der ersten Vorwahl (Primary) hervorgehen wird: glücklich wird die Parteielite über das Ergebnis in keinem Fall sein.

Denn entweder wird mit dem „Nobody“ Paul Tsongas ein Lokalmatador aus dem benachbarten Massachusetts gewinnen, der mit dem Charisma eines begossenen Pudels bei den folgenden Primaries nicht die Spur einer Chance hat. Oder es wird mit Bill Clinton der erklärte Favorit siegreich von New Hampshire in die nächsten Vorwahlen seiner Südstaatenheimat ziehen — und dabei die Nerven des Parteienestablishments arg strapazieren.

Denn der jugendlich wirkende Gouverneur aus Arkansas gilt nach den jüngsten Enthüllungen über seine außerehelichen Seitensprünge und seine Umgehung des Kriegsdienstes in Vietnam zwar noch als populär, aber ebenso angreifbar. Ein Blick auf seine Konkurrenten jedoch gibt den Parteistrategen wenig Grund zum Optimismus. Da ist neben Tsongas noch der ehemalige Gouverneur Kaliforniens, Jerry Brown, der als erklärter Anti-Establishment-Kandidat gegen die Korruption des politischen Prozesses in den Wahlkampf zieht; leider nur ohne ein positives Wahlprogramm. Ebenso chancenlos dürfte der linksliberale Tom Harkin aus Iowa sein, dessen Wählerbasis aus Gewerkschaftern und Minderheiten schon in der eigenen Partei zu schmal sein dürfte, von einer Wahl zum Präsidenten ganz zu schweigen.

Lediglich der Vietnamkriegsveteran und Golfkriegsgegner Bob Kerrey könnte noch zu einem würdigen Kandidaten heranreifen, obwohl auch er bisher enttäuscht hat. Zumindest ist er als Träger der „Medal of Honor“ in Sachen Patriotismus unangreifbares Heldensymbol und selbst durch seine Affäre mit der Schauspielerin Deborah Winger nicht zu belasten — im Gegensatz zu Clinton ist Kerrey nämlich bereits geschieden.

Daß solche Kriterien von Persönlichkeit und Charakter im amerikanischen Wahlkampf eine führende Rolle spielen, ist nichts Neues. Angesichts der Herausforderungen für die auf tönernen Füßen stehende Weltmacht USA erscheint die Abwesenheit beeindruckender Kandidaten und kühner Entwürfe in diesem Wahljahr jedoch besonders fatal.

Nach den „sieben Zwergen“ des vergangenen Wahlkampfs bietet die Demokratische Partei diesmal fünf grundsolide Herren zur Vertretung der Mittelklasse, die 1992 zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte die Wahlen in den Vorstädten entscheiden wird.

Nach dem in den 80er Jahren gescheiterten Versuch Jesse Jacksons, aus den Arbeitern, den Unterprivilegierten und Minderheiten eine demokratische Regenbogen-Koalition zu formen, geht es der Partei in diesem Wahlkampf um die Stimmen der Mitte: um jene sogenannten Reagan- Demokraten, die in der US-Wahlarithmetik seit Mitte der 60er Jahre das Zünglein an der Präsidentschaftswaage sind.

Diese weißen Mitglieder der Arbeiter- oder unteren Mittelklasse haben den Republikanern in fünf der letzten sechs Wahlen zum Einzug in das Weiße Haus verholfen. Es sind Wähler, die in der umverteilenden Sozialpolitik der Demokraten nur eines sehen: die Verschwendung ihrer Steuergelder für die Schwarzen in ihren von Gewalt, Drogen und Ehebruch infizierten Ghettos. Denn hinter all den sozialpolitischen Auseinandersetzungen um Sozialhilfe, Quotierungsprogramme für Minderheiten und Verbrechensbekämpfung lauert bis heute ein latenter Rassismus, der sich dann auch im Wahlverhalten niederschlägt.

Nicht zuletzt aufgrund dieses versteckten Rassenfaktors haben sich die Demokraten in den USA bisher nicht zu einer erfolgreichen Volkspartei europäischen Zuschnitts entwickeln können. „Der Liberalismus und die Demokratische Partei haben bisher noch nicht gezeigt“, so schreibt der Journalist Thomas Edsall in der jüngsten Ausgabe des 'New York Review of Books‘, „ob es möglich ist, die Verpflichtung gegenüber den Minderheiten aufrechtzuerhalten und gleichzeitig eine so große Unterstützung unter den weißen Wählern zu behalten, wie sie zur Erlangung der politischen Macht nötig ist.“

Unter anderem deswegen war Bill Clinton in den letzten Wochen zum Hoffnungsträger der Demokraten geworden. Als einziger der fünf Bewerber schien er zumindest ansatzweise den politischen Spagat zwischen Minderheiten und Mittelklasse zu versuchen. Während er sich den Schwarzen als fortschrittlicher Südstaaten-Politiker anpries, bot er den zu Ronald Reagan und Bush abgewanderten Demokraten sein Eintreten für die Todesstrafe und seinen Vorschlag, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger zuerst auszubilden und dann zur Arbeit zu zwingen.

Waren solch konservative Töne für demokratische Präsidentschaftsbewerber in ihrem Auswahlverfahren bisher tabu, so orientieren sich mittlerweile selbst die linksliberalen Parteiaktivisten nach drei republikanischen Wahlsiegen in Folge nur noch an der „Wählbarkeit“ und nicht mehr an der politisch korrekten Position des demokratischen Kandidaten.

Im Falle eines guten Abschneidens von Clinton in New Hampshire wird die Führung der Demokraten vor einer schweren Entscheidung stellen: Sie kann sich voll und ganz hinter einen Kandidaten stellen, der in den letzten Wochen „vom Meteor zur Zeitbombe“ geworden ist, wie es die Kolumnistin Mary McGrory in Anspielung auf Clintons Affären jetzt formulierte. Sie kann weiter auf das politische Erwachen seiner mediokren Konkurrenten hoffen. Oder sie kann von oben eine jener Figuren rekrutieren, die im letzten Jahr feige auf das Rennen gegen George Bush verzichtet hatten, weil ihnen dieser damals noch zu populär erschien. Im Gespräch sind hier der texanische Senator Lloyd Bentsen oder der demokratische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Richard Gephardt. Wieder einmal stehen die Amerikaner 1992 vor der Wahl zwischen einem für die Krise untauglichen republikanischen Präsidenten und einer Demokratischen Partei, die sich ihres Botschafters selbst noch nicht sicher ist.