„Wir wollten die plattmachen“

20jähriger Skinhead in Koblenz wegen Totschlags vor Gericht/ Sein Opfer war ein junger Kurde  ■ Von Thomas Krumenacker

Koblenz (taz) — „Saufen saufen, fressen fressen, Hoyerswerda schon vergessen!“, skandierten die etwa 400 DemonstrantInnen in der Koblenzer Innenstadt in die Menge desinteressierter SamstagskäuferInnen und Kneipengänger. Die vorherrschende Gleichgültigkeit der Koblenzer war auch Anlaß der Demonstration. Vor zwei Jahren sind im rheinland-pfälzischen Hachenburg noch 3.000 Menschen auf die Straße gegangen, nachdem der 18jährige Kurden Nihad Yusufoglu von einem Skinhead erstochen worden war. An diesem Wochenende, unmittelbar vor Prozeßbeginn gegen den 20jährigen Täter, erinnern nur noch ein paar Hundert, überwiegend „Autonome“ an die Tat.

Sie ereignete sich am 28. Dezember 1990. In der Westerwalder Kleinstadt Hachenburg eskalierte der damals tägliche Terror von Skinheads gegen die aus der Türkei geflohene kurdische Familie Yusufoglu. Seit Wochen schon sind immer wieder Steine gegen das Haus der Familie geflogen, sind Familienmitglieder angepöbelt, die Kinder verprügelt und bedroht worden. An diesem Freitag rammt bei einem erneuten Angriff der damals 18jährige Skinhead Alexander Tieze einem der Söhne, Nihad Yusufoglu, ein Messer tief in den Rücken. Die Klinge durchdringt die Herzwand; Nihad kann sich noch bis kurz vor das nahegelegene Haus seiner Familie schleppen, dann bricht er zusammen. Er stirbt noch auf dem Weg ins Krankenhaus.

Bürgermeister und andere Lokalprominenz überbieten sich bei der Trauerdemonstration für Nihad mit Selbstanklagen. „Unsere Stadt hat allen Grund, sich aufs tiefste zu schämen: daß 45 Jahre nach der Nazi- Diktatur ein Mensch aus rassistischen Gründen bei uns zu Tode kam“, erklärt der Bürgermeister und setzt hinzu: „Unsere Empörung und unser Widerstand gegen Ausländerhaß hätte früher und massiver kommen müssen.“

Sie hätten auch ausdauernder sein müssen: Die Familie Yusufoglu lebt nicht mehr in Hachenburg. Man hat ihr nahegelegt, „zur eigenen Sicherheit“ besser wegzuziehen. Freunde der Familie erzählen, ihr sei „durch die Blume gesagt worden, daß man sie hier nicht länger haben will“.

Im heute beginnenden Prozeß ist Tieze des Totschlags angeklagt. Einen rassistischen Hintergrund hat der Staatsanwalt nicht ausgemacht. Die laut Polizei „mit großem personellen Aufwand“ betriebene „Abklärung des Umfelds“ hat zu dürftigen Ergebnissen geführt.Es habe eben seit Jahren „Spannungen“ zwischen den Dorfjugendlichen und den „Gebrüdern“ Yusufoglu gegeben, die auf „Reibereien“ in der Schule zurückgingen, so die Staatsanwaltschaft. Zwar sei Tieze zeitweilig Mitglied der rechtsradikalen „Taunusfront“ gewesen, sein Lebensinhalt aber habe in der Zeit vor dem Mord aus „Saufen und Rumhängen“ bestanden. Den Ankläger fechten auch Aussagen von Tiezes Kumpanen nicht an. „Wir wollten die plattmachen“, meinte einer bei der Polizei. Und auf Nachfrage des Beamten, was das heiße: „Ich meine damit kaputtschlagen.“

„Hier wird versucht, politische Motive aus dem Prozeß herauszuhalten und die Tat als Dummen-Jungen- Streich eines irregeleiteten Einzeltäters darzustellen, ohne auch nur ausreichend den politischen Hintergrund geprüft zu haben“, sagt der Anwalt der Familie. Für ihn ist klar: „Wäre Nihad nicht Kurde und der Täter nicht Rechtsradikaler, wäre Nihad noch am Leben.“ Tieze selber prahlte nach seiner Verhaftung in Vernehmungen mit seiner Rolle als „Taunusfront“-Aktivist. „Ich bin ein Rädelsführer“, gab er den Polizisten zur Kenntnis.

Bei ihren umfangreichen Abklärungen hätte die Justiz auch erfahren können, daß der vermeintliche „Wochenend-Skin“ selbst dem Verfassungsschutz aufgefallen war und zwischen „Rumhängen und Saufen“ durchaus die Zeit fand, zu überregionalen Fascho-Aufmärschen quer durch die Republik zu fahren und Kontakte zu knüpfen. Etwa zu Skins aus dem Saarland, die kurz vor der Messerstecherei bei Tieze waren. Gegen sie lief damals ein Verfahren, weil sie, Nazi-Parolen gröhlend, ein Haus angegriffen hatten, in dem sie Türken vermuteten.

„Es wurde nicht einmal überprüft, ob die Tat von Hachenburg nicht vielleicht das Ergebnis einer Absprache mit anderen Skinheads war“, sagt Roßbruch, der im Laufe des Verfahrens mit Beweisanträgen den politischen Kern der Tat herausstellen will. Zum „politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang“ gehört für die Koblenzer antifaschistische Szene auch die dubiose Rolle der Polizei. Sie kam erst eine halbe Stunde nach dem Anruf der kurdischen Familie — nachdem deutsche Nachbarn sie gerufen hatten.