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Briefe an Salman Rushdie

■ betr.: Fahimeh Farsaie, taz vom 5.2.92 und Wolf Biermann, taz vom 28.1.92

von Fahimeh Farsaie,

taz vom 5.2.92

Was Frau Farsaie Herrn Rushdie zumutet, ist stark: Er soll keine Reklame für sein Leben machen, wo auch andere gekillt werden!

Intellektuelle zeichnen sich regelmäßig durch eine abstrakte Kaltblütigkeit aus. Das macht der Umgang mit Begriffen von Menschen anstelle von Menschen. Hier scheint aber ein zusätzlicher Fanatismus am Wirken, der die Exclusivität des Verfolgtseins höher wertet als die Ehrfurcht vor dem anderen: Vor der richtenden Öffentlichkeit fällt die Klägerin dem Beistand rufenden Kläger ins Wort, er solle nicht jammern und auch mal an die Toten denken!

Wer ruft denn da nach Respekt vor dem Wert des Menschen? So wird der Bestie das Futter für den Stürmer besorgt!

Ich kann mit der Literatur des allegorischen Schwulstes nichts anfangen; alles aber mit der Unantastbarkeit des Rechts, mit ihr jeden freien Fleck geistigen Lebens zu bekleistern und gerade darüber in allen Tonfällen von Kritik zu schimpfen.

Rushdie ist kein literarischer, sondern ein politischer Fall: Eine sich die Welt anlegende Ideologie hat ferne, außerhalb ihrer Rückenmark verzehrenden Allmacht einen entdeckt, der offen anders will. Dieser fernste Punkt ihres dunklen Horizonts hat so ausgestrahlt, daß es ihr eine Frage der Existenz ist, auch diese naive Präsentation von Ich vor ihren mißtrauisch werdenden entleerten Anhängern auszulöschen. Das Image Macht muß sich durch stets neuen Terror als wirkungsfähig beweisen. Gelingt dies nicht, geht das totalitäre System mit einem Schlag unter (NS, Stalinismus).

Aber dieses hat solche terroristische Macht: Alle politischen Kräfte der noch nicht infizierten, freien Welt ziehen sich erschreckt zurück, erklären die Existenzfrage der Freiheit zu einer literarischen Angelegenheit, drücken sich vor dem Schutz von Bürgern und Gästen, zeigen den Verfolgern die Schönheiten der Landschaft anstelle der Grenzen, die sie so dicht vor den Verfolgten zu schließen verstehen.

Eben das ist das einmalige am Fall Rushdie: er ist Präzedenzfall, Einfallstor des Terrorismus in die freie Welt, Prüfstein der Anfälligkeit demokratischer Regierung, Test der Verteidigungsfähigkeit kommunikativer Enklaven gegen die Angriffe der Entmenschlichung.

Keine Frage, daß auch die gemordete iranische Intelligenz mit allem Menschenrecht auf ein solidarisches Wort der Welt wartet. Dieses wird es nur mit Macht einlegen können, wenn sie zuvor den Angriff auf ihren Lebensnerv ernsthaft abgewiesen hat. Klaus Wachowski, Alzey

[...] Ich finde den Einsatz der taz und der briefschreibenden Dichter für einen von religiösen Banditen verfolgten Schriftsteller ganz hervorragend, denn hier wird nicht nur ein Dichter verfolgt, sondern hier steht das Menschenrecht der Meinungsfreiheit auf dem Spiel.

Ich möchte einige Anregungen zum Thema geben: Es haben viele Schriftsteller Briefe für Rushdie geschrieben. Wann schreiben sie das erste Theaterstück, das erste Fernsehspiel, das erste Hörspiel zum Fall Rushdie? Wann werden die ersten Drehbücher für einen Film über Rushdie und seinen mutigen Kampf gegen die islamischen Halunken in Teheran geschrieben? Wann werden die Satanischen Verse endlich verfilmt und dramatisiert und in jedem Kino und Theater weltweit gezeigt, das auch nur ein ganz kleines bißchen auf sich hält?

Wann wird jede Dichterlesung, die auf der Welt stattfindet, endlich obligatorisch ergänzt durch Lesungen aus den Satanischen Versen? Neulich wurde im WDRIII eine Lesung aus Werken Rushdies beziehungsweise ein Hörspiel nach seinen Gedanken abgespielt. Leider handelte es sich nicht um die Satanischen Verse.

Warum wird nicht jeden Abend nach der Tagesschau ein Abschnitt aus den Satanischen Versen vorgelesen, bis endlich die Mordhetze aufgehoben wird? Warum hat im Bundestag nicht längst eine Fragestunde zum Fall Rushdie stattgefunden? Wann werden die ersten Straßen, Schulen und anderen öffentlichen Gebäude endlich nach Salman Rushdie benannt?

Könnte sich nicht die Bundesregierung bei der Bonner Stadtvertretung dafür einsetzen, daß die Straße, in der die Botshaft der iranischen Folterer und Mordhetzer liegt, in Salman-Rushdie-Straße umbenannt wird, wenn man schon zu feige ist, die diplomatischen Beziehungen zu einem verbrecherischen System abzubrechen, zu dem unsere Wirtschaft die besten Geschäftsbeziehungen unterhält?

Wann finden die ersten Musik- und Kulturmassenveranstaltungen für Rushdie, wann das erste Tribunal gegen seine widerlichen Verfolger statt? Wann wird ein Gedenktag für Rushdie eingeführt?

Es gäbe tausende Möglichkeiten, Rushdie zu helfen, nicht zuletzt die, alle Moslems und ihre Organisationen dazu aufzufordern, sich von den Mördern, die Rushdie verfolgen, einen seiner Übersetzer töteten, einen anderen verletzten, sofort zu distanzieren, andernfalls ihnen jegliche finanzielle, kulturelle Unterstützung zu versagen und sogar zu erwägen, ob man sie nicht wegen Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit strafrechtlich belangen sollte. Hartmut Wagner, Schwerte

Brief von Wolf Biermann,

taz vom 28.1.92

Welch simple Sicht auf die Welt, welch billige Teenie-Moral! Auf der einen Seite gibt es bei Biermann „Priester und Politiker“, die, welch Graus, „von Interessen bestimmt“ sind. Auf der anderen Seite den guten Schriftsteller, den Trotz-Alledem- Trompeter Beckmanns und einen kroatischen Soldaten, der den Weihnachtsbaum mit Granaten schmückt. Wovon die gute Seite bestimmt wird, wenn nicht von Interessen, bleibt unklar.

Daß ein Schriftsteller mit solch einfach schematisierter Weltsicht die Wirklichkeit verquer beschreiben kann, damit sie uns nicht zwangsverordnet werde, wage ich füglich zu bezweifeln. Albrecht Burkholz, Schönborn

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