: Ein Land wie eine Loipe
Beim 30-Kilometer-Langlauf der Männer gab es einen dreifachen norwegischen Sieg — und anschließend eine Hochstimmung wie auf dem Holmenkollen ■ Aus Les Saisies Matti Lieske
Immer, wenn deutsche Skilangläufer über ihren Sport sprechen, bekommen sie nach spätestens fünf Minuten glänzende Augen und beginnen, von Norwegen zu schwärmen. Ein Land wie eine Loipe, jede Menge Schnee, ein einig Volk von einsam durch die Wälder hastenden, wortkargen Menschen: Norwegen ist das unumstrittene El Dorado des Langlaufs. Was uns der Fußball ist, sei ihnen ihre Spur, heißt es neidvoll, und was das bedeute, sähe man ja, wenn Deutschland gegen Norwegen Fußball spiele.
„Im norwegischen Team könnte ich vorne mitlaufen“, sagt beispielsweise Jochen Behle, „es bestehen keine technischen oder organischen Probleme.“ 1,5 Millionen Mark kann das norwegische Team pro Jahr verbraten, Behle hat einen Etat von gerade mal 60.000 Mark.
Da wundert es niemanden, daß der kleine Ort Les Saisies beim olympischen 30-Kilometer-Rennen — in der klassischen Technik selbstredend, denn nur die ist bei Olympia zugelassen — ganz im Zeichen Norwegens stand. Die ansonsten eher spärlich besetzte Tribüne wurde von einer munteren Meute aus einigen hundert Norwegerinnen und Norwegern dominiert, welche niedliche Elchkopfmützen trugen, einen Megaphon-bewehrten Einpeitscher dabei hatten und mit Sprechchören und fröhlichen Liedern zu Akkordeonbegleitung ihre loipelnden Vertreter anfeuerten. Zur Fröhlichkeit hatte die blau-rote Kolonie aus Skandinavien allen Grund, denn natürlich waren es die Norge-Läufer die am schnellsten durch die tiefverschneite, fichtenbestandene Landschaft oberhalb des rund 1.600 Meter hoch gelegenen Les Saisies sausten — zumal ihr einziger ernsthafter Konkurrent, der Schwede Torgny Mogren wegen eines steifen Halses nicht mittun konnte. Bei strahlendem Sonnenschein waren auf den 30 Kilometern insgesamt 1.134 Meter Steigung zu bewältigen, eine „selektive Piste“, wie es der Italiener Giuseppe Pulie ausdrückte. Leichte Übung jedoch für die Norweger. Wann und wo auch immer eine Zwischenzeit genommen wurde — einer von ihnen war vorn.
In der Endabrechnung war dies auf der ersten Hälfte der Strecke stets Björn Dählie, der Mann mit dem gewaltigen Lungenvolumen, bekannt für seine Blitzstarts und entschlossen, erfolgreichster Langläufer dieser Spiele zu werden. Als nach 15 Kilometern seine grell weiße Mütze wieder im Start-Zielraum aufleuchtete und er mit ausladenden Schritten der Bestzeit zustrebte, gerieten seine Fans auf den Rängen schier aus dem Häuschen. Nur einer schien ihm gefährlich werden zu können, ein Landsmann natürlich: Vegard Ulvang, der die Kilometer mit der Gleichmäßigkeit eines Zeitfahrers bei der Tour de France runterspulte.
Und während 15-Kilometer- Weltmeister Dählie seinen üblichen Leistungsabfall im zweiten Teil erlitt, drehte Ulvang nochmal auf. Die Tribüne erbebte, als er, topfit wie ein junger Hund, dem Ziel zustrebte. Während die meisten anderen nach getaner Arbeit völlig entkräftet zusammenklappten, schwenkte Ulvang ausgelassen seine Skistöcke, riß sich die Bretter von den Füßen und hüpfte begeistert von sich selbst herum wie ein Frosch auf einer heißen Herdplatte.
Ganz anders Dählie. Mit letzter Kraft schleppte er sich über den letzten Kilometer, vor sich die riesige Anzeigetafel mit den Sekunden, die ihn vom Gold trennten, aber unbarmherzig verrannen. 46 Sekunden, bevor er die Ziellinie überquerte, war der Sieg dahin, aber die Zeit von Marco Albarello war kein Problem, die Silbermedaille der Lohn. Auch Terje Langli holte den Italiener noch ein und machte den dreifachen norwegischen Triumph perfekt.
Und Behle? Der wurde, enttäuschend für ihn, 15., konnte sich aber damit trösten, daß er in seinem Bruce-Springsteen-Look mit Stirnband und Stoppelbart neben dem ähnlich gestylten Alborello der bei weitem schickste aller Teilnehmer war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen