Säuft der Kanaltunnel finanziell ab?

Das Baukonsortium Eurotunnel fordert Subventionen in Millionenhöhe von der britischen Regierung  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) — Der Streit um die Kanaltunnel-Passagiere nimmt erbitterte Formen an: Das französisch- englische Konsortium Eurotunnel will sich bereits jetzt ein erhebliches Stück von dem profitablen Kuchen sichern und verlangt mehr Geld. Dabei soll der acht Milliarden Pfund (rund 22,8 Milliarden Mark) teure Tunnel unter dem englischen Kanal erst Mitte nächsten Jahres eröffnet werden. Doch die Bauherrin hat bereits Verzögerungen angekündigt: Der Pendelverkehr könne frühestens im Spätsommer 1993, der Fernverkehr erst 1994 aufgenommen werden. Erst dann können Autos huckepack auf Eisenbahnen durch Margaret Thatchers Lieblingsprojekt — die „Thatcher-Pyramide“ — in drei Stunden von Paris nach London rasen. Eurotunnel-Chef Sir Alistair Morton forderte jetzt von der Londoner Regierung jährlich 100 Millionen Pfund — als Ausgleich für den Gewinn, den die Konkurrenz, die Reedereien P&O und Sealink, mit dem Verkauf zollfreier Waren auf ihren Autofähren macht.

Auch im Bereich der Sicherheit attackierte Morton die Reedereien. „Die Fähren werden in erheblichem Umfang von der Regierung Ihrer Majestät subventioniert“, sagte er. „Jetzt wollen sie noch mehr Geld. Der Finanzprüfungsausschuß möge sich doch mal dafür interessieren, warum unter diesen Umständen keine befriedigenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.“ Zwar habe die Sheen-Untersuchung nach dem Zeebrügge-Fährenunglück von 1987, bei dem 188 Menschen ums Leben kamen, weitreichende Sicherheitsmaßnahmen empfohlen, doch die seien nicht umgesetzt worden. Die erforderlichen Veränderungen im Design der Fähren werden in dem vor zwei Wochen veröffentlichten Regierungsbericht nicht einmal erwähnt. Eurotunnel dagegen wurden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen aufgedrückt, die das Konsortium 100 Millionen Pfund kosten.

P&O-Chef Lord Sterling konterte daraufhin, Eurotunnel sei im Grunde ein ausländisches Unternehmen: Mehr als die Hälfte der Aktien sind im Besitz französischer Firmen. Auf dem Wasser sehe es etwas besser aus, so Stirling. Bei den Kurzstreckenfähren liegt der Marktanteil schwedischer und französischer Reedereien erst bei einem Drittel. Um jedoch langfristig gegen diese Konkurrenz und gegen Eurotunnel bestehen zu können, verlangte Sterling die Aufhebung einer Kartellamts-Entscheidung: Die Behörde untersagte P&O und Sealink vor zehn Jahren eine engere Kooperation. Der Minister für Handel und Industrie, Peter Lilley, wird Ende des Monats über diesen Antrag entscheiden.

Sealinks Verwaltungsratsvorsitzender Gareth Cooper sieht der Tunnel-Konkurrenz dagegen gelassen entgegen. Er prophezeite, daß Eurotunnel längst nicht so viele Passagiere wie erwartet unter die Erde locken werde. Der prognostizierte Umsatz sei laut Cooper um 180 bis 280 Millionen Pfund zu hoch gegriffen. Sollte er recht behalten, wäre das Tunnelprojekt finanziell nicht lebensfähig, da Eurotunnel dann lediglich die Zinsen bezahlen könnte. Morton verlangte von Coopers wutentbrannt eine Entschuldigung.