Silikon-Implantate: Pralles Stück Busenglück

Der führende US-amerikanische Hersteller von Silikon-Einlagen gibt „erhebliche Probleme mit den Silikon-Polstern“ zu/ Konzernchef trat am Montag zurück/ Deutsche Schönheitschirurgen haben „keinen einzigen Fall von schädlicher Wirkung“  ■ Von Silvia Sanides

Die Diskussion um Nebenwirkungen von Silikon-Busen geht weiter. Am Montag hat die US-amerikanische Herstellerin der künstlichen Oberweitepolster ihren bisherigen Standpunkt, die Silikon-Implantate seien sicher, erheblich eingeschränkt. Sprecher des Dow-Corning-Konzerns warnen vor dem Massieren der eingenähten Kissen, weil die das Silikon enthaltenen Plastikhüllen platzen oder undicht werden könnten. Plastik-Chirurgen massieren routinemäßig die Implantate und das umliegende Brustgewebe nach der Operation, um die Bildung von harten Narben in der Brust zu verhindern.

Ebenfalls am Montag hat die Firma den Rücktritt ihres bisherigen Chefs, John S. Ludington, mitgeteilt. Neuer Mann ist der frühere Vizemanager der Dow Chemical Company, Keith McKennon. Die ungewöhnlichen Bewegungen in den Chefetagen von Dow Corning ereignen sich nur wenige Stunden nach der von der US-Kontrollbehörde für Nahrungs- und Arzneimittel (FDA) angeordneten Veröffentlichung von Konzern-internen Papieren. In dem 800 Seiten Band sind wissenschaftliche Studien, die die Sicherheit der Implantate in Frage stellen: Warnungen von Mitarbeitern über gefährliche Nebenwirkungen der Kissen und Schreiben von Plastikchirurgen, die erhebliche Probleme mit den Silikon-Polstern in der Praxis dokumentieren.

Silikon-Implantate befinden sich seit dreißig Jahren auf dem Markt. Die Prothesen bestehen aus einer mit Silikon-Gel gefüllten Plastikhülle. Weltweit haben sich etwa zwei Millionen Frauen die Kissen in die Brüste nähen lassen. In den USA entscheiden sich achtzig Prozent der Implantat-Trägerinnen aus kosmetischen Gründen für einen Silikon-Busen. Zwanzig Prozent sind das Opfer von Brustkrebs gewesen.

Mitarbeiter warnen seit Jahren vor den Nebenwirkungen

Über lange Zeit sind die Implantate von den Zulassungsbehörden nicht oder nur unzureichend kontrolliert worden. Erst im vergangenen Jahr hat die FDA die Silikon-Kissen näher unter die Lupe genommen. Dabei ist soviel Widersprüchliches und Verdächtiges an den Tag gekommen, daß der Vorsitzende der Behörde Anfang Januar ein einstweiliges Verkaufs- und Anwendungsverbot für die Kissen ausgesprochen hat. Erst nachdem die Sicherheit des Produkts erwiesen ist, sollen die Implantate wieder auf den Markt kommen. Im Rahmen dieser Untersuchung hat Dow Corning die jetzt veröffentlichten internen Unterlagen freigeben müssen.

Aus den Papieren geht hervor, daß Mitarbeiter der Firma bereits in den siebziger Jahren vor Nebenwirkungen der Implantate warnen. Dabei spielt nicht nur das Interesse der Patientinnen, sondern auch das von Dow Corning eine Rolle. So meldet ein besorgter Angestellter an seine Vorgesetzten, „einzelne Mitarbeiter sowie der Konzern“ liefen Gefahr, „haftbar“ zu werden, weil man die Auswirkungen der Implantate ignoriere. Schon damals ist bekannt, daß die Kissen platzen oder undicht werden und Entzündungen auslösen können.

Warnungen praktizierender Ärzte fallen bei der Firma jedoch auf taube Ohren. Der Plastikchirurg Charles Vinnik fühlt sich „wie eine kaputte Schallplatte“, weil seine wiederholten Beschwerden stets mit der Behauptung, er habe die Implantate falsch eingesetzt, abgewiesen werden. Nach Angaben der Firma, so Vinnik, muß das Silikon-Gel fest und kohäsiv sein, so daß geplatzte Implantate samt Gel leicht entfernt werden können. Doch, schreibt Vinnik an Dow Corning: Bei der Entnahme eines Implantats „rann das Gel aus dem Gewebe und den geplatzten Taschen auf den Boden“. Es habe die „Konsistenz von Motorenöl“ besessen.

Auch Handelsvertreter, die Dow Cornings mangelhafte Ware Ärzten schmackhaft machen mußten, beschweren sich zuweilen. Die Plastikhüllen seien „stellenweise zu dünn“, heißt es in einem Vermerk, und die Kissen „voller Luftblasen“. Ein weiterer Pharmavertreter bekennt jetzt, er habe beanstandet, daß die Kissen stets mit einer öligen Schicht überzogen seien. Ihm sei von Vorgesetzten empfohlen worden, die Implantate in der nächsten Toilette warm abzuwaschen, bevor er sie potentiellen Käufern vorlege.

Patientinnen sollen ihre Silikon-Brüste täglich selbst massieren

Seit zwanzig Jahren, dies geht aus den Papieren hervor, bemängeln Mitarbeiter das Fehlen von Langzeitstudien über die Auswirkungen der Silikon-Kissen. Der Konzern macht sich nicht die Mühe, Frauen mit Implantaten zu registrieren und ihren Gesundheitszustand über längere Zeit zu beobachten. Deshalb bleibt bis heute unbekannt, wie oft selbst die am häufigsten festgestellte Begleiterscheinung, die exzessive Ausbildung harten Narbengewebes, auftritt. Die Schätzungen reichen von zehn bis zu siebzig Prozent der Fälle.

Die Narbenbildung rings um das Implantat signalisiert nichts anderes als eine gesunde Abwehrreaktion des Körpers gegen das fremde Objekt. Durch die Vernarbung des Gewebes wird der Fremdkörper von den Stoffwechselprozessen abgeriegelt. Diese Reaktion ist jedoch unerwünscht, weil sie zur Verhärtung und im Extremfall zur Deformierung der Brust führen kann. Um sie zu verhindern, massiert der Arzt die Brust der Patientin. Bereits bestehende Gewebeknoten werden zuweilen durch starken Druck gelöst. Außerdem wird den Patientinnen nahegelegt, ihre Silikon-Brüste täglich selbst zu massieren.

Deshalb befinden sich auch jene Frauen, die sich bisher trotz Kontroverse noch ungetrübt über ihren Silikonbusen freuten, in einer mißlichen Lage. Einerseits warnen die Hersteller vor der Massage der Implantate, andererseits besteht die Gefahr der Narbenbildung, wenn die Massagen unterbleiben.

Deutsche Chirurgen glauben an „Hexenverfolgung“

Die Flut der Gerichtsprozesse gegen Dow Corning wird deshalb voraussichtlich noch weiter anschwellen. Der neuernannte Konzernchef zeigt sich entsprechend galant: Die Kosten für die Entnahme zu heiß gewordener Busenpolster übernimmt Dow Corning. McKennon: „Mir wäre es unangenehm, wenn Frauen ihre Implantate aus finanziellen Gründen nicht entnehmen lassen könnten“.

Mit McKennon hat sich der Konzern einen in Rettungsaktionen geübten Mann an Bord geholt. Er half bereits Dow Chemical aus der Patsche, als amerikanische Soldaten Dows im Vietnamkrieg eingesetzte Entlaubungsmittel „Agent Orange“ für ihre Krankheiten verantwortlich machten. Bei Dow Corning wird McKennon dennoch alle Hände voll zu tun haben.

Die Zeichen stehen nicht gut für den Konzern: Die Aktien der Mutterkonzerne Dow und Corning stürzten diese Woche ab, und in allen Zeitungen werben Rechtsanwälte um weibliche Klienten, die ihres Silikon-Busens überdrüssig sind.

Dagegen hält die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie Bedenken gegenüber Silikon-Implantaten für unbegründet. Das von der US-Gesundheitsbehörde verfügte sechswöchige Moratorium, dem sich das Bundesgesundheitsamt (BGA) Anfang des Jahres anschloß, sei eine Art „Hexenverfolgung“, glaubt der Schönheitschirurg Franz Gsell aus Nürnberg. Die Mitte Februar auslaufende Bedenkfrist dient nach Angaben des BGA dazu, einen negativen Einfluß von Silikon- Einsätzen zu untersuchen. Laut des Nürnberger Chirurgen habe es in der 25jährigen Silicon-Anwendung „keinen einzigen Fall von schädlicher Wirkung“ gegeben.

Zurückhaltender als Gsell äußert sich sein brasilianischer Kollege Carlos Uebel aus Porto Alegre während der 20. Jahrestagung der Chirurgie-Gesellschaft am vergangenen Wochenende in Berlin: „Wir wollen die US-Überprüfung abwarten.“ Die Patienten werden dadurch verunsichert, meint hingegen Gsell. Das BGA habe nur „nachgeplappert“, was die US-Behörde vorgegeben habe. Uebel ergänzt: „Wir haben niemals Krebs im Zusammenhang mit einem Silicon-Brustimplantat gesehen.“ Allerdings könne die Brustprothese platzen. Im Gesichtsbereich sei Silicon „unverzichtbar“. Die Chirurgen erwarten, daß die Zahl der Schönheitsopertionen in Zukunft um schätzungsweise zehn Prozent pro Jahr ansteigen wird.