Ein enzyklopädisches Disneyland

■ Viola König, neue Chefin des Überseemuseums, über Schaulust, das Unabänderliche und die Ära König

Am Ende kommt Leben in die hochfeine Persönlichkeit: da soll sie, vor versammelter Lokalpresse, mal schnell ihr Traummuseum malen, falls sie eins hat; aber klar hat sie und deutet sogleich übers Bundesbahngelände ringsum: dieses nähme sie sich im Traumesfall und machte da mal richtigen Open-Air-Zauber, eine Art aufgeklärtes Museums-Disneyland; daß es so ganz extrem würde, hat man, sagt sie, hierzulande sowieso nicht zu befürchten.

Nein, sie scheut nicht zurück vor der Schaulust; ja, sie möchte die Leute in bunte Erlebnisse verwickeln, auf daß sie kommen, bleiben und wiederkehren, „es ist ja ihr Geld, was wir hier verbraten“; selbst das alte Aquarium soll, wenn es nach ihr geht, wieder ans Netz, und wenn sie selber sammeln gehen müßte für die fünfeinhalb Millionen, die's wahrscheinlich kosten wird: „In Hannover hatte ich eins, das hat da allein schon 80 Prozent des Publikums gelockt!“

Dr. Viola König (40), seit zwei Wochen die neue Chefin des Übersee-Museums, weiß allerdings, daß sie sich in dem bitterarmen Haus damit bescheiden muß, hie und da ein Häufchen Stroh zu Gold zu spinnen. Für Hergeholtes, z.B. eine nächste Fuhre Zarenklunker, ist sie eher nicht zu haben; überhaupt will sie Sonderausstellungen nur noch machen, wenn sie leicht zu kriegen sind und die Werkstätten nicht belasten: Fünf Jahre hat sie sich gegeben, um erstmal mit allen Mitteln die Abteilungen der Dauerausstellung flottzumachen; dann ist ihre erste Amtsperiode schon rum.

Ein bißchen länger wird es dauern, dem abenteuerlichen, dem unergründlichen Magazin, welches jetzt vor sich hin modert, neues Obdach zu verschaffen. Neubaupläne sind fertig, Geld fehlt, aber: „Davor habe ich wirklich Angst, daß ich hier mal fertig bin und habe das nicht geschafft.“

Wenn es nach ihr gegangen wäre und nicht nach dem Leben, dann wäre sie jetzt C 4-Professorin für Altamerikanistik, insbesondere Mexikanistik, erst recht für gewisse Bilderhandschriften, was alles nur Namen sind für eine Leidenschaft, die sie schon früh ereilte: Als Kind die Bibliothek im heimatlichen Minden „leergelesen“, alles über alle Inka- und Azteken-Dynastien auswendig im Kopf, unter der Schulbank heimlich wunderbunte Keramiken abgemalt; dann geradenwegs ins Studium gesegelt; nachher doch Museum, das ergab sich eben so; vieleviele Reisen gemacht und immer nur ungern zurückgekehrt.

Im kölnischen Völkerkundemuseum, wo sie fünf Jahre war, hat sie dann Ausstellungen gemacht über Rausch und Realität — Drogen im Kulturvergleich, über Die Braut oder auch über die Männerbünde; nachher im Hannoverschen Landesmuseum, ihrer letzten Station vor Bremen, hatte sie erstmals eine kleine Abteilung unter sich: die für Völkerkunde, „Männer drunter mit lauten Stimmen“, sie hat sie dann doch mit ihrer leisen übertönt und hatte anständig Geld zur Verfügung, aber leider keinen Platz für Dauerausstellungen: „Ich konnte da nicht an die Öffentlichkeit.“ Jetzt kann sie.

Und sie legt Wert darauf, daß mit ihr die Ära Ganslmayr endet und die Ära König beginnt: nach den ausgreifenden Abenteuern des Projekteschmieds jetzt eine Konzentration auf das Museumszuhause, auf diese verlotterte Villa Kunterbunt, deren Durcheinander der neuen Chefin grad recht ist: „So ist eben dieses Museum: im Idealfall eine lebendige Enzyklopädie“ — wo nun mal das Zellmodell friedlich neben der Schamanenmaske grast und die Unterweser in die Evolution mündet.

So ist die Welt, und so soll sie sich im Museum wiederfinden, sagt Viola König und ist doch geradezu gefaßt auf alles, was nicht möglich sein wird: Wenn sie das Haus bloß, „so gut es geht, den Nachfahren überlassen“ kann, hat sie schon viel erreicht; aber vielleicht, so denkt sie dann, vielleicht nehmen die schlottermageren Jahre doch noch ein Ende, dann käme erst ihre Zeit: „Ich möchte ja die Besucher doch stärker ansprechen.“

Dann würde sich das altehrwürdige Museum aufraffen zu allerlei bewegter Szenerie; da könnte man flanieren durch ethnologische Parks, da stünden dem handgreiflichen Erlebnis ganze Gemeinschaftshäuser bereit, „wo vor Ort gebaut und geschnitzt und gehobelt werden kann“, daß die Originalspäne nur so fallen.

Manfred Dworschak