Paßkontrolle im Himmel

■ »Passport to Heaven« von Richard Oswald

Beim Hauptmann von Köpenick fällt dem »Normaldeutschen« sicherlich sofort Heinz Rühmann ein, an Zuckmayr denken dabei wenige, noch weniger wissen von Richard Oswald, der bereits 1931, im Jahr der Uraufführung des »deutschen Märchens« am Deutschen Theater, den Stoff verfilmt hat und später noch einmal, 1941, in den USA. Die uns geläufige Helmut- Käutner-Version stammt dagegen aus dem Jahre 1956, und erst dann wurde dank der Bürgernähe Heinz Rühmanns die Satire auf das wilhelminisch-kaiserliche »Uniformen- machen-Leute« nachkriegsdeutschlandberühmt.

Wo Helmut Käutner allerdings auf das Sonntagnachmittagsprogramm des soeben fernsehtauglich gewordenen Aufbaubürgers und dessen Unterhaltungsbedürfnis setzt, folgte Richard Oswald in seiner Bearbeitung noch strengeren Kinogesetzen vorfernsehlicher Provinienz: in neusachlich schwarzweißer Licht- und Schattenkomposition und einem rhythmischen Wechsel zwischen Totale und Naheinstellung wird die Figur des Schuhmachers Wilhelm Voigt (Alfred Bassermann) zu einem einsamen Ankläger, erhält in ihrer fast kleistschen Gebärde — »you owe me a life« — tragisches Format. Und wird wie Döblins Franz Biberkopf zu einer exemplarischen Figur der frühen Moderne: wie diesem gelingt ihm nach längerem Zuchthausaufenthalt die Rückkehr ins Normalleben nicht. Er dreht sich in der bekannten Mühle: ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung, ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit. Ein Einbruch ins Paßamt bringt ihn wieder in die Plötze. Erneut entlassen, erzwingt sich Voigt über den Uniformtrick schließlich — wenn nicht das Recht — so doch zumindest den Paß.

Aus dem Blickwinkel der USA und des Zweiten Weltkrieges hat Richard Oswald die Satire auf das deutsche Wesen noch verschärft — als selbst Exilierter legt er dem Protagonisten nun Sätze wie diese in den Mund: »The whole world will be one big army — under German command.« Und wenn es in der Welt keinen Feind mehr geben wird — so wird man eben den Mann auf dem Mond bekämpfen. Mit einem bitteren Zug überhöht Oswald den Köpenicker Vorfall ins Existentialistische: Wilhelm Voigt fordert nicht mehr nur einen Paß und das Recht auf einen Boden unter den Füßen, sondern das Lebensrecht überhaupt. Er gefällt sich nicht in der Uniform, die ihm um die Schultern schlottert, wächst nicht in die Rolle des Hauptmanns hinein, mit seinem nachgezogenen Säbel und seinem hüftenwackelnden Gang — nein, er besitzt nur gerade im ausreichenden Maße die Kühnheit, sich ein Leben außerhalb eines Landes voller Paragraphen und Stempel zu erzwingen. Noch in einer Alptraumversion sieht Voigt den Zutritt zum Himmel — »passport to heaven« — von der Paßfrage bestimmt. Die Stempelexaltation des Paßbeamten weist ihn als Unmenschen aus — der Protagonist will nach Erhalt seines Passes in ein Land gehen, »wo man nicht sterben will, weil man nicht zu leben versteht«.

Der Film, der ursprünglich den Titel I was a criminal tragen sollte, fiel, als er 1945 in die amerikanischen Kinos kam, durch. Im Rahmen der Ausstellung Kaiserzeit im Deutschen Historischen Museum wird er nun heute zum ersten Mal in der BRD zu sehen sein. Michaela Ott

Passport to Heaven heute und am 16.2., 18.15 Uhr, im Zeughaus, Unter den Linden. Der Film wird im englischen Original mit slowenischen Untertiteln gezeigt.