Afrikaner etappenweise nach Europa

■ Die Maghreb-Staaten fungieren als Transitländer für Migranten aus Schwarzafrika

Toter Ghaneer unweit einer Wüstenoase gefunden. Nigerianer halbverdurstet in der Sahara aufgegriffen. Solche und ähnliche Meldungen sind schon seit geraumer Zeit in der Tagespresse Algeriens zu lesen — Zeugnisse der Tatsache, daß die von der OECD befürchtete Massenmigration aus Schwarzafrika Richtung Norden längst eingesetzt hat. So sind die meisten „Boat People“, die die Meeresenge zwischen Marokko und Spanien überqueren, keinesfalls Marokkaner, sondern stammen aus Mauretanien, Senegal, Mali und weiter südlich gelegenen Ländern. Drei Migrationsziele haben die Westafrikaner dabei fest im Blick: im Süden die Küstenmetropolen oder die Ölindustrie von Nigeria und Gabun, im Osten die reichen arabischen Länder und im Norden das Fernziel Europa.

„Der typische malische Migrant“, so ein Beamter der französischen Flüchtlingsbehörde OFPRA, „flieht vor dem Elend und ist häufig Analphabet.“ Es sind aber keineswegs verzweifelte Elendsgestalten kurz vor dem Hungertod, die den beschwerlichen Weg nach Norden antreten. Es sind im Gegenteil die beweglichsten, einfallsreichsten Dorfbewohner, die jungen kräftigen Männer, die sozusagen stellvertretend für das ganze Dorf in die Fremde ziehen, um den Verwandten daheim ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen.

Die Wanderung verläuft phasenweise: zuerst in die nächste malische Stadt, dann in die senegalesische Hafenmetropole Dakar; von dort per Schiff nach Casablanca oder Tanger in Marokko. Anreiz für die Weiterreise nach Europa ist dort vor allem der Wohlstand derjenigen marokkanischen Familien, die devisenbringende Angehörige im Ausland haben. Die für die Überfahrt nach Spanien erforderlichen rund 2.000 Mark plus weitere Gelder für illegale Papiere müssen auf dem Bau oder im Straßenhandel erarbeitet werden.

Die Auswanderung aus Mali hat seit 1986 beständig zugenommen, begünstigt durch die Wirtschaftskrise, die prekäre Ernährungslage und die politische Stagnation unter der 1991 gestürzten Militärdiktatur. Im Falle Senegals kommt hinzu, daß 1989 Hunderttausende Schwarzafrikaner aus Mauretanien ausgewiesen wurden und nur schwer auf dem knappen Agrarland zu integrieren sind. Und auch aus den westafrikanischen Küstenstaaten kommen immer mehr Migranten — was im übrigen auch die Bundesrepublik zu spüren bekommt: Die Zahl der Einreiseanträge aus Nigeria stieg zwischen 1988 und 1990 von 485 auf 5.400 dramatisch an.

Bereits jetzt finanzieren europäische Länder Rückkehrprojekte im Sahel, beispielsweise die Modernisierung von Bauernkooperativen im Westen Malis, die im Gegenzug Rückkehrer aufnehmen sollen. Angesichts der wachsenden Besorgnis in Europa werden auch die Maghreb-Staaten zunehmend nervös. Selber von hoher Arbeitslosigkeit und sozialer Unruhe gekennzeichnet, können sie es sich weniger noch als Südeuropa leisten, als Transit- oder Aufnahmeland zu fungieren. Marokko und Algerien haben ihre Landgrenzen nach Süden hin inzwischen geschlossen. 1991 begann Libyen mit der Ausweisung malischer Gastarbeiter: Ein Luftfrachter mit 205 zum Teil mißhandelten Maliern landete am 19. September auf dem Flughafen von Bamako — Vorgeschmack auf eine künftige Abschottungspolitik der Maghreb-Länder gegenüber den „Unruheherden“ im Süden? Dominic Johnson