: »Kein Interesse an der Erhaltung der Rasse«
■ Ausstellung »100 Jahre deutscher Rassismus«/ Nicht nur kaiserliche und nationalsozialistische Facetten einer Tradition
Kreuzberg. Wenn Helmut Kohl feststellt, »daß der ungehemmte Zuzug von Gastarbeitern katastrophale Folgen hat«, dann betont er, daß das mit »Fremdenfeindlichkeit nichts zu tun« habe. Kaiser Wilhelm II. hatte es da noch einfacher. Für ihn waren die Juden schlicht »Parasiten«, von denen »es viel zu viele« gegeben habe. Die kaiserliche Schlußfolgerung »sie sollten ausgemerzt werden« wurde schon ein knappes halbes Jahrhundert später umgesetzt. Dies wiederum läßt es dem geschichtsbewußten Bundeskanzler heute opportun erscheinen, jede Form des Rassismus weit von sich zu weisen. Solcherlei verbale Distanzierung kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Rassismus und Antisemitismus Tradition haben in Deutschland.
Die Wanderausstellung »100 Jahre deutscher Rassismus«, die bis zum 26. Februar in Kreuzberg zu sehen ist, zeigt verschiedene Facetten dieser Tradition. Die Ausstellung wurde 1988 zum 50. Jahrestag der »Novemberpogrome« von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit erstellt. Viele der Bilder und Dokumente sind wohlbekannt. Trotzdem lösen sie in ihrer Ungeschminktheit immer wieder Staunen und nicht selten auch Schaudern aus.
Auf erklärende Kommentare wird verzichtet. Die Dokumente sprechen für sich. So beispielsweise das Zitat des kaiserlichen Ansiedlungskommissars in Deutsch-Südwestafrika, der über die Hottentotten weiß, »daß sie wirtschaftlich im weitesten Sinne unbrauchbar sind und insofern kein Interesse an der Erhaltung der Rasse besteht«. Oder die Postkarte, die zum Beginn des Ersten Weltkriegs »Hindenburg-Pulver und Potiorek-Pillen« als die besten und sichersten Mittel gegen Russen und ähnliches Ungeziefer« preist. Da ist auch ein 'Vorwärts‘-Leitartikel von 1919, der unter der Überschrift »Grenzen des Gastrechts« vor den Juden aus Osteuropa warnt, die »unser Gesellschaftsleben unterminieren«.
Besondere Aufmerksamkeit widmet die Ausstellung der Zeit des Nationalsozialismus — nicht ohne deutlich zu machen, daß die Wurzeln tiefer liegen und daß gerade in der Weimarer Republik organisatorisch, wissenschaftlich und publizistisch auf breiter Basis vorbereitet wurde, was später in dem industriell abgewickelten Massenmord mündete.
Zu kurz kommt allerdings die Zeit nach 1945. Nur knappe fünf Prozent der Ausstellungsfläche sind den letzten 50 Jahren des hundertjährigen deutschen Rassismus gewidmet. Daß es so wenig sind, beleuchtet exemplarisch die inhaltliche Substanz dieses Ausstellungssteils. Daran kann auch der von der Berliner Ausstellungsgruppe eilig angefügte Teil über die jüngsten Ereignisse nichts ändern. Johannes Zerber
Besuchszeiten täglich 16 bis 20 Uhr, Yorckstraße 59
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