Unruhe an der Basis des ANC

Die Codesa-Verhandlungen für politische Reformen in Südafrika verunsichern viele Jugendliche/ Veteidigungsgruppen als neue Aufgabe für die Armee des ANC/ Gespräche und Massenaktionen  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Seit einigen Wochen macht sich ein Gefühl der Unsicherheit an der Basis des Afrikanischen Nationalkongresses ANC breit. Ursache ist die Aufnahme detaillierter Verhandlungen im „Konvent für ein demokratisches Südafrika“ (Codesa) über den Übergang zu einer demokratischen, nichtrassistischen Ordnung. Der ANC hat selbst von einer zügigen Annäherung zwischen seinen Positionen und denen der Regierung gesprochen. Einfache ANC-Mitglieder befürchten zum Teil, daß ihre Organisation in dem Bestreben, so schnell wie möglich eine Übergangsregierung zu erreichen, zu große Zugeständnisse macht. Und die wieder aufgeflammte politische Gewalt in schwarzen Wohngebieten hat erneut die begrenzte Wirkung der bisherigen Friedensabkommen zwischen rivalisierenden politischen Gruppen aufgezeigt.

Die Unzufriedenheit junger, militanter ANC-Mitglieder ist zum Teil auf ihren Verlust an politischem Einfluß zurückzuführen. „Verhandlungen sind eine andere Form des Kampfes, eine andere Art, dem Regime die Macht abzunehmen“, wiederholt Laurence Selenakoro, ein 22jähriger Aktivist aus Soweto, linientreu die Position des ANC. Aber das ist kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. „Wir, die Jugendlichen, haben unser Blut vergossen, um Südafrika soweit zu bringen, wie es jetzt ist“, sagt Bernard Sideane (20), ein Kollege von Selenakoro. „Und jetzt sind wir marginalisiert.“

Auf der Suche nach einer neuen Rolle im politischen Kampf wollen die Jugendlichen sich vor allem im Schutz ihrer Nachbarschaft vor politischen Angriffen engagieren. Hunderte von Menschen sind seit Mitte 1990 in blutigen Kämpfen ums Leben gekommen, wobei vor allem Mitglieder der Zulu-Partei Inkatha gegen ANC-Sympathisanten kämpften. Seit Anfang Februar sind wieder mehr als 20 Menschen in Soweto und in der Provinz Natal ermordet worden, allein gestern waren es vier.

Der ANC hat versprochen, Mitglieder seiner Armee „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation, genannt MK) zur Ausbildung von Verteidigungseinheiten einzusetzten. Aber das ist nur begrenzt verwirklicht worden. „Dies ist ein trauriger Abschnitt des Kampfes“, sagt Sideane. „Unsere Leute sterben durch die Gewalt, ohne daß unsere Armee sie verteidigt.“ Selenakoro meint, daß die Motivation der MK-Soldaten nachgelassen hat. „Die Verhandlungen sind demoralisierend“, sagt er. „Sie sind ausgebildet worden, um zu kämpfen, und es gibt keine Kampfaktionen mehr.“

„Die Beschwerden der jungen Leute sind richtig“, meint dazu Chris Hani, MK-Stabschef und das unter Jugendlichen beliebteste Mitglied der ANC-Exekutive. „Der ANC hat einen Waffenstillstand mit der Regierung unterzeichnet. Außerdem ist MK eine kleine Armee. Wir alleine können nicht alle Menschen verteidigen. Deshalb versuchen wir, sie auszubilden, um sich selbst zu verteidigen.“ Das sei allerdings besonders schwierig, da die Sicherheitskräfte der Regierung dies verhinden wollen.

Auch Barbara Hogan, ANC-Regionalsekretärin in Johannesburg, gibt zu, daß die Verhandlungen zu zunehmenden, oft verunsicherten Diskussionen an der Basis geführt haben. „Unsere Region hat die Entscheidung der ANC-Führung, die Verhandlungen zu beschleunigen, voll unterstützt“, sagt sie. „Aber an der Basis bleiben viele Fragen offen, zum Beispiel, wie stark ist der ANC, welche Chance haben wir, unsere Ziele durchzusetzen?“ Hogan zufolge haben ANC-Mitglieder nach dem ersten Codesa-Treffen Mitte Dezember erkannt, daß es in Verhandlungen jetzt tatsächlich um die übergabe der politischen Macht geht. „Die Leute riechen die Macht“, sagt sie. „Deshalb stellen sie viel mehr Fragen.“

Eine Schlüsselrolle spielte dabei die heftige Konfrontation zwischen ANC-Präsident Nelson Mandela und Präsident Frederick de Klerk. Mandela griff de Klerk scharf an für dessen Forderung, die Auflösung von MK zur Vorbedingung für den Verhandlungsprozeß zu machen. Der Vorgang wurde live im Fernsehen übertragen. „Plötzlich haben die Leute gemerkt, daß die Macht der Regierung auch auf den höchsten Ebenen zu bröckeln beginnt“, sagt Hogan. „Und sie haben gesagt: Das ist der ANC, den wir wollen.“

In gewisser Weise ist das wachsende Interesse der ANC-Basis am Verhandlungsprozeß der Organisation unbequem. Es wäre einfacher, hinter verschlossenen Türen ein Abkommen mit der Regierung und anderen Gesprächspartnern auszuhandeln. Dazu Zach de Beer, Leiter der liberalen Demokratischen Partei und bis vor kurzem Vorsitzender des Codesa-Managementkomitees: „In entscheidenden Fragen hat es normalerweise bilaterale Konsultationen zwischen der Regierung und dem ANC gegeben, bevor wir davon hören.“ Aber es ist auch Teil der ANC- Strategie, die Unruhe an der Basis der Basis politisch zu nutzen. „Codesa ist ein wichtiges Element, aber man kann sich nicht ausschließlich darauf verlassen,“ sagt Raymond Suttner, Leiter der ANC-Abteilung für politische Bildung und wichtiger Stratege der Organisation. „Ob ein Abkommen erfolgreich ist oder nicht, hängt nicht von Worten ab, sondern von Macht.“ Und die Macht des ANC liegt in seiner Unterstützung im Volk, in dem Druck von der Basis, der sich in Massendemonstrationen und Boykotten formuliert. „Deshalb brauchen wir beides“, sagt Suttner, „Gespräche am Verhandlungstisch und Massenaktionen.“