Libanons Schiiten trauern um Mussawi

■ Zehntausende nahmen an den Trauerfeierlichkeiten für den Generalsekretär der Hisbollah teil/ Truppen im Libanon und in Nordisrael in Alarmbereitschaft/ Angriffe auf Nordisrael und den Libanon

Tel Aviv/Beirut (taz/ap) — Mehr als 50.000 Menschen haben gestern in Südbeirut an einer Trauerprozession für den vorgestern getöteten Generalsekretär der schiitischen Hisbollah, Sheikh Abbas Mussawi, teilgenommen. Berge von Blumen wurden auf die Särge von Mussawi, seiner Angehörigen und Leibwächter geworfen. An der Prozession nahm auch eine offizielle Delegation der iranischen Regierung teil. Die sterblichen Überreste von Mussawi und seinen Angehörigen wurden anschließend nach Baalbek gebracht, wo heute eine zweite Prozession stattfinden soll. Danach sollen die Toten in Mussawis Heimatort Nabi Sheet beigesetzt werden.

Nur Stunden nach dem tödlichen Angriff auf Mussawi, den israelische Hubschrauberpiloten am Sonntag auf den Autokonvoi von Mussawi geflogen haben, wurden libanesische und israelische Truppen in Alarmbereitschaft versetzt. Bereits in der Nacht zum Montag hat die israelische Armee erneut mehrere libanesisch-schiitische Dörfer angegriffen, die in der Nähe des israelisch besetzten Südlibanon liegen. Ob Menschen getötet wurden, ist bislang nicht bekannt. Gleichzeitig überflog die israelische Luftwaffe das Gebiet um die libanesische Stadt Tyros. Am Montag morgen wurden von libanesischer Seite mehrere Katjuscha-Raketen auf Nordisrael abgefeuert, die nach israelischen Informationen wenig Schaden anrichteten.

Der Überfall auf Mussawi geschah rund 20 Kilometer südlich von Tyrus. Zwei israelische Kampfhubschrauber, die von Düsenjägern abgeschirmt wurden, schossen fünf ferngelenkte Raketen auf den Autokonvoi des Sheikhs ab, der mit seiner Frau, seinem jüngsten Kind und einer Gruppe von Leibwächtern auf einer Landstraße unterwegs war. Mussawi, seine Angehörigen und vier Leibwächter starben sofort. Nach Angaben der libanesischen Polizei wurden weitere achtzehn Personen verwundet, acht Personen seien in Lebensgefahr. Sie hatten in den beiden eskortierenden Geländewagen gesessen, die ebenso wie Mussawis Fahrzeug von den Raketen völlig zerstört wurden. Der israelische Verteidigungsminister Mosche Arens bestätigte noch am gleichen Tag, daß die israelische Armee Mussawis Konvoi bewußt angegriffen habe, um die Führung der schiitischen Organisation zu schwächen.

Am Morgen des gleichen Tages hatte die israelische Armee Luftangriffe auf das größte palästinensische Flüchtlingslager im Libanon, Ain Al Hilweh, geflogen. In Israel deklarierte man diese Angriffe als „Vergeltungsschläge“ wegen des Überfalls auf das israelische Militärlager Gal-Ed in der Gegend von Haifa, bei dem drei Soldaten getötet wurden. Gestern übernahm eine Organisation aus den besetzten Gebieten die Verantwortung für diesen Überfall: Die „Black Panther“, die bislang mehrfach an der Ermordung palästinensischer „Kollaborateure“ beteiligt waren, schickten ein entsprechendes Kommunique an AFP in Jerusalem, in dem der Tathergang sehr genau beschrieben wurde. „Das Kommando“ habe das Lager zehn Stunden lang beobachtet, dann hätten drei ihrer Leute den Zaun durchschnitten, seien in die Zelte eingedrungen und hätten die Soldaten mit Beilhieben und Messerstichen umgebracht.

Der Angriff auf das israelische Militärlager hat in der Bevölkerung auch deshablb Empörung hervorgerufen, weil offensichtlich nicht einmal ein Minimum an Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der dort lebenden Reservisten getroffen worden war. „Israel hat nicht nur Soldaten verloren, sondern auch Prestige eingebüßt“, erklärte der ehemalige Generalstabschef Eitan, heute Vertreter der rechtsextremen Zomet- Partei in der Knesset, „in den Augen der Araber hat Israels Abschreckungspotential Schaden erlitten.“ Politische Beobachter in Israel sind darum der Auffassung, daß mit dem „Timing“ der israelischen Angriffe im Libanon und des Attentats auf Mussawi von diesen „unangenehmen“ Folgen des Gal—Ed Überfalls abgelenkt werden sollte. Außerdem geht man in Israel davon aus, daß eine neue Offensive im Libanon ohnehin in der „Konzeption“ von Schamir enthalten ist, mit der er versucht, die bilateralen Nahostverhandlungen zum Platzen zu bringen. Dabei geht es ihm vor allem darum, die arabische Seite durch entsprechende Militäraktionen dazu zu bringen, die für den 24. Februar geplante Wiederaufnahme der Gespräche in Washington abzulehnen oder aufzuschieben.

Nicht nur die Delegationen Syriens, Libanons und Jordaniens haben gestern ihre Teilnahme an der Fortsetzung der bilateralen Verhandlungen zugesagt, sondern auch die Palästinenser. Ihre Delegation erklärte gestern, daß sie „auf jeden Fall“ nach Washington fliegen werde. „Das Ziel der israelischen Provokationen in und außerhalb der besetzten Gebiete ist klar: Israel will die Verhandlugen zum Stillstand bringen, ohne dafür verantwortlich gemacht zu werden. Die arabische Seite soll zum Ausstieg gebracht werden,“ erklärte ein Mitglied der Beratergruppe der Palästinenserdelegation in Ramallah, „aber wir haben nicht vor, uns in diese tote Ecke manövrieren zu lassen.“ A.W./N.C.