EUROFACETTEN
: Legitime Notwehr? Nein!

■ High-noon — in Italien sollen die BürgerInnen jetzt mit Wildwestmethoden gegen die Mafia vorgehen

Eigentlich empfinde ich einige Sympathie für unseren Justizminister Claudio Martelli — schlicht deshalb, weil ich die Richterverbände nicht mag und mir die Rhetorik über den „Rechtsstaat“ immer recht philisterhaft auf die Rechte der jeweils eigenen Schicht und die eigenen Interessen zugeschnitten schien.

Ich gestehe auch, daß ich nie an einen überparteilichen Rechtsstaat geglaubt habe und noch nicht daran glaube. Ich habe Martellis Spruch über den „Wilden Westen“ nicht so skandalös gefunden: In Sizilien zum Beispiel haben die Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschaften in den 40er und 50er Jahren gegen die Mafia auch nicht durch Appelle an Gerichte und an den Rechtsstaat gekämpft, sondern ihre legitime Notwehr durch Landbesetzung, durch bewaffneten Schutz der eigenen Kräfte und durch Leibwächter der kommunistischen Führer beim Besuch in Sizilien ausgedrückt.

Claudio Martelli ist sicher nicht der Gary Cooper von High- noon. Seinen ersten Schuß hat er nicht auf die Mafia, sondern auf einen Richter abgegeben — nur weil dieser einen Artikel in 'il manifesto‘ geschrieben hat. Doch feigerweise gibt der Minister diesen Schuß in den Rücken bis heute nicht zu.

Dieser Fall erhellt jedoch den Sinn, der auch hinter diesem Appell zur „legitimen Notwehr“ und zum „Wilden Westen“ liegt — er ist das genaue Gegenteil dessen, was der Aufruf zur demokratischen Mobilisierung, zu Manifestationen gegen die Mafia, zu Demos von jungen Menschen und Arbeitern vorgeblich will: Es ist eine Auffordung zu einer noch stärkeren Bewaffnung. Eine Rechtfertigung derer, die schon bewaffnet sind. Wer hat denn bei uns einen Waffenschein, kann sich Maschinenpistolen kaufen, bewaffnete Kommandos ausstatten, die dann auf Drogensüchtige schießen? Doch nicht afrikanische Immigranten oder Bananendiebe. Es ist die Billigung der Rechtsprechung durch die Stärkeren.

Was für eine wirkliche demokratische Mobilisierung gegen die Mafia nottäte, wären zunächst einmal präzise soziale Ziele, die Eliminierung wahltaktischer Verbandelung mit mafiosen Gruppen, das Sicheinreihen in Demonstrationen des Volkes. Martelli sollte sich die Filme über den Wilden Westen genau ansehen, die er da lobt — da würde er erkennen, wie viele Senatoren und Gouverneure dieses „Westens“ gerade mit Mafiosi und Banditen verbündet sind. Valentino Parlato

Der Autor ist Gründungsmitglied und Redakteur von 'il manifesto‘