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Obduktion eines Verbrechens

■ Tom Kalins „Swoon“ im Forum

Chicago in den zwanziger Jahren: Ein Mordfall weckt das Interesse der Weltöffentlichkeit. Nathan Leopold Jr. und Richard Loeb, zwei 18jährige Vertreter der jüdischen Oberschicht, haben den achtjährigen Bobby Franks getötet. Seither haben schon mehrere Filme die schreckliche Tat zum Thema gemacht. Hitchcocks Rope (1948) und Fleischers Compulsion (1957) rückten die Mörder als latente, homosexuelle Psychopathen ins Bewußtsein des Publikums. Im letzten Jahr wagte sich der junge amerikanische Independent-Regisseur Tom Kalin für sein Spielfilmdebüt noch einmal an den Fall. Mit Hilfe der Produzentin Christine Vachon, die auf der letzten Berlinale mit Poison einen Erfolg verbuchen konnte, entstand mit kleinem Budget und in wenigen Wochen Drehzeit Swoon, die filmische Obduktion eines Verbrechens. Wir lernen Nathan Leopold (Jr. Craig Chester) und Richard Loeb (Daniel Schlachet) weder kennen, noch lieben. Tom Kalin hält das Publikum auf Distanz. In nüchternen, stilisierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen — gemischt mit dokumentarischem Material der USA zu Zeiten der Prohibition — macht er uns zu Zeugen einer verhängnisvollen Beziehungsgeschichte. Nathan liebt Richard bis zur Selbstaufgabe. Kriminelle Handlungen honoriert Richard, der seinerseits ein berühmter Verbrecher werden möchte, mit Sex. Sie planten das perfekte Verbrechen: den Mord an einem Kind, zum Zeitvertreib. Auf der Suche nach Thrill und Amüsement sind die beiden hochintelligenter Jugendlichen von dem Wunsch beseelt, sich mittels eines Geheimnisses noch fester aneinander zu binden.

Swoon muß schockieren. Die im Licht reflektierenden Säuretropfen, die über den Körper des Opfers geträufelt werden — Kalin schont sein Publikum nicht. Die Frage nach dem Warum beantwortet er nicht in einfacher Kausalstruktur. Kalin will beunruhigen, nicht erklären, rechtfertigen. Zwar führt Der Regisseur führt uns vor, wie die Gewalttat seitens der Öffentlichkeit einer intoleranten Gesellschaft in die Schublade der „pathologischen Sexualität“ gepackt wurde. Aber er zeigt auch, daß Homosexuelle keine Engel sind, daß sie zu töten vermögen, unter gewissen Bedingungen — wie heterosexuelle Menschen auch. Heute, im AIDS-Zeitalter, ist Swoon ein mutiger Film. Sabine Jaspers

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