RAF-Helferin vorzeitig entlassen

Nach sieben Jahren Knast ist Claudia Wannersdorfer frei/ Erster Schritt der „Entlassungswelle“?  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) — Ohne jede öffentliche Erklärung der Justizbehörden ist die seit Januar 1985 inhaftierte Claudia Wannersdorfer bereits am Donnerstag vergangener Woche aus dem Knast im bayerischen Aichach entlassen worden. Damit kam die frühere Krankenschwester, die im Gefängnis jahrelang unter epileptischen Anfällen litt, ein knappes Jahr vor ihrem regulären Entlassungstermin frei.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte die heute 30jährige im Dezember 1985 wegen eines Sprengstoffanschlags auf ein Rechenzentrum in Stuttgart-Vaihingen und Unterstützung der Rote Armee Fraktion (RAF) zu acht Jahren Haft verurteilt.

Claudia Wannersdorfer, die nie zur Untergrundgruppe der RAF gehörte, stand auf der Liste von acht Gefangenen, deren mögliche vorzeitige Entlassung im Rahmen einer Initiative von Bundesjustizminister Klaus Kinkel zu Jahresbeginn bekanntgeworden war.

Der fünfte Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart beschloß jetzt die Reststrafe nach Paragraph 57 StGB zur Bewährung auszusetzen. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt voraus, daß zwei Drittel der Strafe verbüßt sind, die Gefangene der Haftprüfung zustimmt und hinreichend sicher angenommen werden kann, daß keine weiteren Straftaten mehr begangen werden. Noch im Mai 1990 hatte das Oberlandesgericht Stuttgart einen entsprechenden Antrag Wannersdorfers auf Haftverschonung mit der Begründung einer „negativen Kriminalprognose“ abgelehnt.

Neuerdings herrscht Harmonie: Die Knastleitung in Aichach, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe als zuständige Strafvollstreckungsbehörde und das Stuttgarter Gericht kamen nun einhellig zu der Auffassung, daß alle Voraussetzungen für eine Entlassung Wannersdorfers erfüllt seien. Der angeschlagene Gesundheitszustand der Gefangenen habe dabei keine Rolle gespielt, hieß es gestern.

Der stellvertretende Gefängnisleiter Hans Uwe Worliczka erklärte gegenüber der taz, Wannersdorfer stelle „schon seit längerer Zeit absolut keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit“ dar. Sie habe im Gefängnis „sehr engagiert in der Kinderbetreuung gearbeitet“ und sei auch in der Gefangenenvertretung aktiv gewesen. Die Haftverschonung sei „ausdrücklich ohne politische Abschwör-Erklärung“ erfolgt, sagte Worliczka. Mit einer Woche Verspätung bestätigte gestern auch die Bundesanwaltschaft die Freilassung der Gefangenen.

Claudia Wannersdorfer und ihr früherer Freund Johannes Thimme hatten im Zusammenhang mit dem neunten Hungerstreik der RAF-Gefangenen im Januar 1985 den Sprengsatz vor dem Rechenzentrum in Stuttgart-Vaihingen deponiert. Der geplante Anschlag sollte offenbar der Zusammenlegungsforderung der Inhaftierten Nachdruck verleihen. Die Bombe ging jedoch vorzeitig hoch. Thimme wurde dabei grausam getötet, Claudia Wannersdorfer schwer verletzt.