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Hysterischer Bürotik

■ Jean Verdier und Jeremie Baudouin spielen das Comical »Büro« im Übü-Theater

An einem herbstlichen Nachmittag vor gut fünf Jahren tritt eine blonde junge Frau an den Zeitungskiosk am Schlesischen Tor, um den Verkäufer hinterm Schiebefenster, offenkundig ein Student, kennenzulernen. »Wir könnten gemeinsam ins Theater gehen«, schlägt sie vor, die Wochenendausgabe einer niederländische Tageszeitung unterm Arm, die sie seit Wochen hier kauft, weil das Blatt schwer erhältlich und der Student nur am Wochenende hinterm Tresen ist: »Zum Beispiel ins Büro«. — »Gute Idee«, erwidert der junge Mann, der Jean Verdier und Jeremie Baudouin nur von Plakatanschlägen, ein anderes Ensemble jedoch durch eine selbst gesehene Inszenierung nach Oscar Wilde kennt: »Wie wäre es statt dessen mit den Berlin Play Actors?« Wenig später erleben sie mit The Importance of being earnest einen unterhaltsamen Abend voll cleverem Sprachwitz — und sehen sich fortan öfter. Freunde beginnen, die blonde Frau und den Studenten ein Paar zu nennen. Irgendwann wird Büro dann abgesetzt, ohne daß die beiden dort gewesen wären.

1992: das Geflicker von Taschenlampen irrlichtert durch den Zuschauerraum. Vom Eingang des vollständig verdunkelten Saals her dringt Stöhnen — eine Mischung aus Wollust und Pein, die sich mit dem Kichern der Cowboystiefelträger auf den hinteren Sitzreihen vermischt. Das Klagen verstärkt sich, als ein karg eingerichtetes Büro in der Finsternis erkennbar wird. Lichtkegel gleiten über Schreibtische, Stühle und Papierkörbe, bis die Gesichter von Jean Verdier und Jeremie Baudouin im Funzelschein auftauchen. Bekleidet mit frisch gestärkten Hemdsärmeln, Binder und grauen Hosen, die zu kurz sind, kehrt das Duo aus dem Urlaub — künstlerische Differenzen nennt man das wohl! — ins »Büro« zurück. Schließlich findet jemand das Licht.

Rasch werden die Schreibtische zur Pilotenkanzel zusammengeschoben. In einem imäginären Propellerflugzeug heben die beiden, die Daumen als Steuerknüppel nach oben gereckt, lautmalend ab. Zufrieden wie kleine Kinder brummen sie einander an und wischen den fein versprühten Speichel des Gegenübers mit dem dazugedachten Scheibenwischer über den Augenlidern ab.

Bald schon geraten die beiden gelangweilten Büroangestellten in gefährliche Turbulenzen. Ein Motor setzt aus, dann der zweite. Als gar nichts mehr funktioniert, zeigen vier Daumen nach unten, und dem mit Pfeifen anschaulich gemachten Sturzflug folgt ein flammendes Inferno unter dem rot blinkenden Scheinwerfer des Übü-Theaters. Splash, bumm, boing, krach!

Kaum vom unsichtbaren Chef gestempelt, wird den Angestellten wieder langweilig und sie beginnen erneut zu spielen. Beim Hochgeschwindigkeitsstempeln, dem Indianerspiel mit Kanu-Fahrt und beim Autorennen üben die beiden eitlen Büromenschen immer wieder den Wettstreit. Mit einem Kauderwelsch aus Lautmalerei, Französisch, Englisch und Deutsch streiten sie darüber, wer schneller, Erster oder schlauer ist und schwärzen einander beim Chef an.

Baudouin verbietet seinem Partner, den Aktenkoffer aufzuessen, doch der rächt sich beim nächsten der Spiele, die ohne Übergang ineinanderfließen. Aus hysterischem Lachen wird das Gackern eierlegender Hennen, aus einem Gänsekiel eine Indianerfeder. Manchmal finden die beiden Kontrahenten zueinander, um gemeinsam zu spielen. Mit unglaublicher Konzentration tun Baudouin und Verdier das, was Kinder beim Spielen zu tun pflegen. Frei assoziierend zitieren sie, was an Haltungen aus der Alltagskultur brauchbar ist: Otto Waalkes verschmitzt- naives Grinsen, die pharisäerhafte Harmlosigkeit von Donald Ducks Neffen, den großtuerischen Gestus Roberto Benignis, Professor Unrat und Tom Waits.

Die artistische Kinderstunde — obwohl nicht wirklich Pantomime, so doch weniger auf Sprache angewiesen als etwa das vor zwei Wochen in Berlin weilende ehemalige Profi- Pantomimenensemble des Deutschen Theaters und weniger hölzern als das britische Duo Nickelodeon, das mit ähnlicher Komik arbeitet — wird belohnt mit Ovationen vor dem ausverkauftem Haus. Mit im Publikum sitzt auch eine blonde Frau in Begleitung eines nicht mehr ganz jungen Manns.

Als Verdier in seinen Koffer »Sauvage« hineinschreit und es aus Baudouins Mappe wieder herausschallt, erinnern sie sich beide an eine ihrer U-Bahn-Fahrten. Nebenüber sitzt ein etwa elfjähriger Junge, Haar und Hosen kurz, und monologisiert. »Ich singe jetzt in diese Tasche hinein!« ruft er und zappelt wie einer, der daheim zu viel phosphathaltigen Schmelzkäse zu essen bekommt. Er öffnet die Schultasche, kräht »Laa- laa-laa« hinein, schließt den Reißverschluß, um ihn wenig später wieder aufzuziehen: »La-lala« dringt es von der Tasche Grund, leiser zwar, aber immerhin. Das ist der Stoff, aus dem Angestellte werden. Stefan Gerhard

»Büro« — ein absurdes Comical von und mit Jean Verdier und Jeremie Baudouin im Übü-Theater, Kreuzbergstr. 7, 2. Hinterhof, Berlin 61.noch bis zum 9. März immer freitags bis montags um 20.30 Uhr.

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