Eurodisney: Intimität oder Produktidentität

Stahl, Steine, Verkehr: das graue Paris. Nun leuchtet's bald im Originalrosé der Floridasonne, das von der Fassade des „Hotel Euro Disney“ abstrahlt. Und wenn der 4,2-Milliarden-Komplex am 12. April öffnet, werden die Europäer Paris links liegen lassen und endlich ihren Traumurlaub zwischen Riesenmickymäusen, Kitschschlössern und echten Erdbeben mit Eisenbahnunglück verleben.

Die Geister von Phantom Manor haben sich bereits ihrer neuen Klientel angepaßt und spuken in diversen europäischen Sprachen.

Wie wär's denn mit einem Job dort — als Begrüßungs-Mouse zum Beispiel? 12.000 Serviceleute und Statisten werden zur Zeit rekrutiert. Da spielen Sie „die Rolle Ihres Lebens“ und verbinden Arbeit mit „Magic“, so das Stellenangebot. Solches ist nun also möglich — vorausgesetzt die Körpermaße stimmen einigermaßen, und Sie gehören zu den Leuten, die „täglich frisch und sauber zur Arbeit kommen“.

Damit jeder versteht, was das bedeutet, spielt das Aufklärungsvideo Le Euro Disneyland Look, das Stellenbewerber im „Casting Center“ in Noisy-le-Grand bei Paris zu sehen bekommen, diskret eine Duschszene ein.

Ansonsten wird einem darin klipp und klar mitgeteilt: männlichen Bewerbern ist das Tragen von Schnurr- und sonstigen Bärten untersagt, die Haare sind kragenkurz und ohrfrei zu tragen, Tätowierungen bedeckt zu halten.

Zur Qualifikation für weibliche Bewerber gehört eine „natürliche, einheitliche Haarfarbe“; dezent getuschte Wimpern gehen an, Lidstrich, angemalte Augenbrauen und falsche Wimpern sind Tabu, desgleichen über die Fingerkuppen hinaussprießende Nägel. Pro Ohr wird jeweils ein Ohrring von maximal zwei Zentimetern Durchmesser genehmigt, und für Frauen wie Männer gilt: pro Hand nur ein Ring. Außerdem müssen die Damen transparente Strumpfhosen tragen, nichts Schwarzes oder Verziertes, und: anständige Unterwäsche. Zuwiderhandeln ist ein Kündigungsgrund, weshalb man das Regelwerk besser auch noch gedruckt nach Hause trägt und beherzigt. So ist es auch — nach versuchtem Protest — in Amerika und in Japan.

In Frankreich scheint das Disney- Management damit jedoch in 12.000 Fettnäpfchen getreten zu sein.

Die Franzosen sind zwar nicht so schnell beleidigt, sondern wundern und amüsieren sich laut Bericht in der 'Herald Tribune‘ eher über soviel kulturelle Insensibilität, doch langsam häufen sich auch die Stellungnahmen, die hier europäische Standards und Kulturwerte beleidigt sehen. Die Gewerkschaft CFDT hat sich mit der Forderung, derartigen Eingriffen in individuelle Freiheit und Würde Einhalt zu gebieten, ans französische Arbeitsministerium gewandt.

Solchen Empfindlichkeiten hält der stellvertretende Chef der Personalabteilung von Euro Disneyland, Mr. Degelmann, die Philosophie der Produktidentität entgegen, die wir schon von den Hamburgern und anderen Paradeprodukten her kennen: Ohne die Disney-Kleiderordnung sei das Produkt nicht mehr, was der Kunde erwartet. Will heißen, alles muß bis auf den Schlüpfer genau stimmen, sonst tritt Befriedigung nicht ein. Das sei dann ja wie eine Hamlet-Inszenierung, illustriert Herr Degelmann sein Argument, bei der jeder anders aussieht, als man erwartet hat. „Würden Sie da nochmal hingehen?“

Der multikulturelle Lyriker und Avantgarde-Musiker Alvaro, der sich bei Euro Disney als Werbetexter beworben hatte (und daraufhin als „Aufnahmeprüfung“ zwei postwendend und honorarfrei zu erledigende Übersetzungsaufträge erhielt), versuchte beflissen, Herrn Degelmann auf sein PR-schädliches Auftreten aufmerksam zu machen — wo man hier doch Hamlet auch und gerade wegen seiner wechselnden Garderoben schätzt — und flog flugs aus dem Bewerbungsverfahren. Ulrike Endres