GESICHTER der Großstdat
: Die Frau hinter der dunklen Brille

■ Ein Besuch bei der Schauspielerin Hildegard Knef / Zur Zeit nimmt sie in Berlin an den Dreharbeiten der neuen Fernsehserie "Haus am See" teil / Der Nachkriegsstar ist fotoscheu

Für mich ist die Begegnung mit Hildegard Knef ein durchaus persönliches Anliegen, das nahezu der Bewältigung eines Kindheitstraumas gleichkommt. Denn wer wie ich in den sechziger und siebziger Jahren großgeworden ist, konnte sich nur schwerlich der Allgegenwärtigkeit Hildegard Knefs entziehen.

»Eins und eins, das macht zwei«, »In dieser Stadt« oder »Von nun an ging's bergab« hießen die Platten, die meine frühe Kindheit begleiteten, und als ihre Autobiographie Der geschenkte Gaul erschien, war das Verlegenheitsgeschenk einer Generation geboren.

Gierig stürzte sich die Presse auf alles, was diese Frau machte, von sich gab oder erlitt. Ob Krebs-Operation, Scheidung oder Lifting — alles sprang einem von den Titelseiten entgegen, während sie noch einen Schritt weiterging und ihr geplündertes Privatleben schriftstellerisch aufbereitete. Gegen Anfang der achtziger Jahre gehörte es zum guten Ton, Hildegard Knef zu verreißen. Sie zog nach Los Angeles, und es hieß, daß sie alle Deutschen hasse — eine infame Unterstellung, wie sie später betonte.

Wie dem auch sei — all dies geht mir beim Lesen einer Meldung durch den Kopf, die Frau Knefs Anwesenheit in Berlin mitteilt. Ein Anruf bei der »Neuen Filmproduktion«, für die Hildegard Knef derzeit die Fernsehserie Haus am See dreht, führt tatsächlich zu einem Interview-Termin. Sie erwarte mich am Drehort auf Schloß Damsmühle, teilt man mir mit und: »Keine Fotos!«

Der Tag des Interviews steht unter einem schlechten Stern. Ich erreiche Schloß Damsmühle mit einer guten Stunde Verspätung, gerade rechtzeitig, um Hildegard Knef in ein Auto steigen zu sehen. Hilflose Entschuldigungen stammelnd, stürze ich auf den Wagen zu und verharre plötzlich wie gelähmt: Sie hat tatsächlich diese riesigen Augen mit den langen falschen Wimpern und diese Stimme, die ich tausendmal gehört habe. Eine Stunde später sitze ich mit Hildegard Knef im Steigenberger. Sie ist größer und schlanker, als ich mir vorgestellt habe, trägt Turnschuhe, einen schwarzen Rolli und weiße Jeans. Frau Knef drapiert sich in Ruhestellung auf dem Sofa, läßt ihre Augen, die von den Dreharbeiten gereizt sind, hinter einer dunklen Brille verschwinden und nuckelt an einer exotisch anmutenden Flüssignahrung. Diese sei von der NASA entwickelt worden, erzählt sie, und enthalte alle wichtigen Nährstoffe. Nach diversen Operationen müsse sie darauf achten, was sie esse. Prompt muß ich wieder an ihre Krankheiten denken, was mich so irritiert, daß mir nichts mehr einfällt. Zur Überbrückung entschuldige ich mich noch einmal für die Verspätung, als sie mir den Rettungsanker zuwirft: »Der Tag steht unter einem schlechten Stern«, meint auch sie, »weil der Mond vom Skorpion in den Schützen wechselt.«

Stand nicht irgendwo, sie sei von Astrologen abhängig? Außerdem ist sie Steinbock, und die sind angeblich sehr erdverbunden. Beides Fehlanzeige: »Ich habe nur mein Sonnenzeichen im Steinbock. Ansonsten habe ich viele Luftzeichen. Außerdem liefert die Astrologie nur Grundtendenzen. Man sollte bei einer schlechten Sternenkonstellation nicht etwas wichtiges Neues beginnen, aber alles andere liegt bei einem selbst. Insbesondere Zeitungshoroskope sind völliger Quatsch.«

Sie steckt sich eine Zigarette an, ihr einziges Laster, wie sie betont, was auf mich enorm beruhigend wirkt. Endlich etwas, das ihrem Image entspricht. Hildegard Knef muß rauchen. Mich interessiert, warum sie nach ihrem Umzug nach Amerika jetzt wieder in Deutschland lebt.

»Ich bin damals nach Los Angeles gezogen, weil in der Presse soviel Unwahres über mich stand, daß meine Tochter nicht mehr zur Schule gehen wollte. Ich wollte ihr endlich ein intaktes Familienleben geben und daß sie auf eine gute Schule kommt. Sie ist mittlerweile verheiratet und sehr glücklich, aber mein Mann und ich sind letztlich Europäer. Da ich immer nur Englisch sprach, merkte ich nach einer gewissen Zeit, daß ich beim Deutschen überlegen mußte. Und gerade für mich als Schriftstellerin ist die Sprache sehr wichtig.«

Wie sie die Lage jetzt empfindet, möchte ich wissen. »Ich kenne Berlin aus einer Zeit, wo es täglich weniger wurde. Direkt nach dem Krieg hatte ich die Gelegenheit, unter Barlog am Theater all diese wunderbaren Rollen zu spielen. Es war eine großartige, eine euphorische Zeit. Zu essen gab es nichts, es gab kein Geld, aber wir hatten Idealismus. Ich bin danach ziemlich schnell in die USA gegangen, wo ich das andere Berlin, das Berlin der Emigranten kennengelernt habe, das für mich wie eine Aura über der zerstörten Stadt schwebte. Diese Leute wie Marcuse oder Marlene Dietrich waren meine Freunde, und ich glaube, ich habe eine Menge für das Bild der Deutschen im Ausland getan, weil ich eine Generation repräsentierte, die zwar schon geboren war, als Hitler an die Macht kam, aber trotzdem sagen konnte: Nicht alle Deutschen sind schlecht. Heute ist alles von Habgier geprägt, und die Situation kommt mir vor wie eine vorzeitig erkaltete Ehe. Geduld und Freundschaft sind die Grundvoraussetzungen einer Ehe, und kaum zwei Jahre, nachdem man sich an der Mauer umarmt hat, ist alles schon wieder vorbei. Man kann nicht vierzig Jahre Sozialismus in zwei Jahren aufarbeiten. Ich drehe seit April in der ehemaligen DDR, und die Leute fühlen sich behandelt wie ein drittklassiges Kolonialvolk.«

Erbost erhebt sie sich und langt nach einer weiteren Zigarette. »Zum ersten Mal haben die Deutschen Grund, stolz auf sich zu sein, weil sie eine friedliche Revolution zustande gebracht haben, und gleich wird wieder vergessen, daß all dies nur mit Hilfe der Russen, der Ungarn usw. möglich war. Diese neue Ausländerfeindlichkeit finde ich beängstigend. Die ganze Welt sieht auf uns. In ein paar Jahren werden wir wissen, ob die Deutschen diese historische Chance verpaßt haben.«

Ein paar Wochen noch, so erfahre ich, wird sie in Berlin sein. Anschließend plant sie eine neue Chanson- Platte, und das Drehbuch zum »geschenkten Gaul« hat bisher drei Autoren verschlissen. Warum schreibt sie es nicht selbst? »Ich selbst bin an dem Thema viel zu nah dran«, lächelt sie und lüftet noch einmal ihre Brille, als sie mich zur Tür bringt. Unvermittelt fällt mir einer ihrer bekanntesten Titel ein: Für mich soll's rote Rosen regnen, und ich glaube, das will sie immer noch. Martin Schacht