Einfach „great“: Hilfsmission aus der Galaxis

■ Ein Supertransporter der US-Airforce landete im atomar verstrahlten „Nirgendwo“ von Kasachstan

„In sieben Stunden“, schnarrt die Stimme des US-Airforce-Offiziers durchs Bordmikrophon der C-5 Galaxy, „landen wir inmitten von nirgendwo.“ Daß der Hilfsflug im Rahmen der Aktion Provide Hope vom US-Luftwaffenflughafen in Frankfurt am Main wenigstens „irgendwo in Rußland“ ankommen würde, scheint den meisten der 50 amerikanischen Militärbegleitern und -begleiterinnen sicher. Warum sollten sie auch besser informiert sein als ihr Pilot Tom McClain, der nach dem Nachtflug davon überzeugt ist, „mitten in Sibirien“ gelandet zu sein? Minus 15 Grad und hoher Schnee am Ankunftsort scheinen die Vermutung zu bestätigen.

In Wirklichkeit transportiert das nach der russischen Antonow 124 weltweit größte Transportflugzeug mit einer Geschwindigkeit von über 800 Stundenkilometern seine 60-Tonnen-Fracht Lebensmittel in den Nordosten Kasachstans in die Gebietshauptstadt Semipalatinsk. Major Cannon, zuständig für die Betreuung der kleinen Schar Journalisten an Bord der 75 Meter langen Maschine, kann sich den Namen dieses Ortes partout nicht einprägen: „Semipolitechnisches Institut oder so.“ Seine Begeisterung über diese „Mission“ läßt sich durch den schwierigen Namen des Bestimmungsflughafens keineswegs schmälern.

Für die insgesamt 65 von Frankfurt startenden Hilfsflüge, berichtet er, hätten sich in der Frankfurter US-Airbase sehr viel mehr Freiwillige gemeldet als gebraucht würden. „Ich war in Panama dabei und letztes Jahr im Golfkrieg“, erzählt der Lademeister mit dem düsteren Namen Posthumus, „aber solche humanitären Aktionen machen mir mehr einfach Spaß.“

Es ist der zweite Flug dieser bauchigen C-5 nach Semipalatinsk. Ein dritter und letzter sollte einen Tag später statt der übriggebliebenen Essensrationen der Operation Desert Storm Medikamente in das Gebiet fliegen, das ungefähr so groß ist wie das vereinte Deutschland und 400.000 strahlenkranke Menschen beherbergt. Hier hat die Sowjetunion in den vergangenen 40 Jahren bis 1989 Hunderte von Atombomben getestet. Im Grunde dürfte von den hier wachsenden Nahrungsmitteln nichts verzehrt werden — fleisch- und milchspendende Rinder, Schafe und Pferde weiden zum Teil unmittelbar auf den radioaktiv verseuchten Epizentren der Explosionen. Nicht nur mangelnde Aufklärung über die unsichtbare, lebensbedrohliche Radioaktivität, auch die zunehmende Not zwingt die Bevölkerung, die eigenen Produkte zu verzehren. „Seit Monaten“, berichtet zum Beispiel Alexander Steiger aus dem Süden der Region, „ist die Versorgungssituation auf dem Lande sogar noch schlechter als in den Städten.“ In den offiziellen Läden gebe es, wenn überhaupt, nur noch Brot „und manchmal etwas Wodka“. Zucker sei mittlerweile absolute Mangelware, Milch und Butter so gut wie unbekannt. „Babynahrung ist völlig vom Markt verschwunden“, beschwert sich eine Mutter. Von den besonders dringend benötigten Grundnahrungsmitteln befindet sich nichts an Bord der Galaxy, trotzdem zeigt man sich höflich und ernsthaft dankbar gegenüber der alliierten Hilfe aus Frankfurt, an der sich von Norwegen bis Qatar 14 Staaten beteiligen. Die Deutschlehrerin, die sich auf dem Flugfeld in Semipalatinsk eingefunden hat, gibt allerdings neben der Dankbarkeit noch ein anderes Gefühl preis: Scham. „Als ich noch zur Schule ging“, erinnert sie sich, „sammelten wir für die Bedürftigen in der Dritten Welt. Jetzt zählen wir wohl selbst dazu.“

Über die Hälfte der Hilfslieferungen, erläutert vor Ort der Vorsitzende des Verteilungskomitees, Ibrajew, werde an Krankenhäuser weitergeleitet, den Rest müßten sich alleinstehende Arme und kinderreiche Familien teilen oder er finde in der Schulspeisung Verwendung. Die erwarteten Medikamente sollen angeblich vor allem den Strahlenopfern zugute kommen. Die Vorsitzende der „Union der Strahlenopfer“ allerdings weiß nichts davon. Überhaupt hat sich die Gebietsverwaltung nicht besonders interessiert gezeigt, die Bevölkerung von den Hilfslieferungen in Kenntnis zu setzen. Herumgesprochen hat es sich, als die erste Galaxy am 18.Februar langsam über dem Flughafen einschwebte. Dann aber müssen sich auf dem Flugfeld so viele neugierige und bedürftige Bürger eingefunden haben, die ihr Päckchen gleich mit nach Hause nehmen wollten, daß „zum Schutz“ der zweiten Lieferung zwei bewaffnete Milizionäre Stellung vor dem einzigen Eingangstor beziehen.

Daß die Hilfe nicht unbedingt nur dort landet, wo sie zweifellos benötigt wird, stößt weder in Semipalatinsk auf große Empörung, wo entsprechende Nachfragen nur achselzuckende Reaktionen hervorrufen, noch bei den als Helfern mitreisenden amerikanischen Soldaten. Viele von ihnen halten es für „völlig normal“, wenn nicht sogar für eine überlegene Form des Wirtschaftens, „wenn jemand in der Lage ist, sich das zu besorgen und beiseite zu schaffen, was er braucht“.

Sollte, was bei den Beteiligten stark bezweifelt wird, diese etwas individualistische „Ökonomie“ überwiegen, habe die Operation Provide Hope trotzdem einen vermutlich nicht beabsichtigten guten Zweck erfüllt. Der erste Kontakt zu leibhaftigen Bewohnern der früheren Sowjetunion ist für die US-Militärs schlicht „great“: „Die Bevölkerung verhielt sich phantastisch. Wir sind außergewöhnlich freundschaftlich empfangen worden und haben festgestellt, daß sich die Völker unabhängig von der Haltung ihrer Politiker verständigen können“, schwärmte nicht nur der Pilot Tom McClain. „Ich werde es zuhause meinen Leuten erzählen.“ Barbara Geier