Konferenz am Ort der tausend Gifte

Heute beginnt die erste Bitterfelder Umweltkonferenz/ Schwerpunkte sind Wasser- und Bodenverseuchung/ Meistuntersuchter Landkreis in Deutschland/ Wirtschaftliche Situation desolat  ■ Von Bettina Markmeyer

Bitterfeld (taz) — Drei Tage lang Daten und Fakten und am Ende die Grusel-Tour: das ist das Programm der ersten Bitterfelder Umweltkonferenz, die heute in Bitterfelds Nachbarstadt Wolfen beginnt. Das Landratsamt des Chemie-Kreises lädt zu einem Mammutprogramm mit fast fünfzig Vorträgen, in denen alles auf den Tisch gepackt werden soll, was WissenschaftlerInnen in den letzten beiden Jahren über die Verseuchung der Region ermittelt haben: von der Arsen- und Quecksilbervergiftung der Mulde-Auen über die furchterregende Zusammensetzung der Kreismüllkippe bis zu umweltbedingten Krankheiten der Bevölkerung.

Wieder einmal wird sich heute auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer am Ort der tausend Gifte sehen lassen, um die mehr als 300 KonferenzteilnehmerInnen zu begrüßen. Am Samstag dann darf, wer will, den ökologischen Niedergang der Chemie-Region an ausgewählten Orten selbst in Augenschein nehmen: Exkursionen führen zum gigantischen Tagebauloch Goitsche im Osten Bitterfelds und an die Ufer des „Silbersees“ von Wolfen, an dem schon Jane Fonda Tränen über das Öko-Elend vergossen hat.

Der Plan zu einer Umweltkonferenz ausgerechnet in Bitterfeld wurde vor einem Jahr im Landratsamt des Chemie-Kreises ausgeheckt. Die, die mitten im Dreck leben müssen, wollen jetzt eine Zwischenbilanz ziehen. Denn die Horrorberichte über die Vergiftung von Bitterfeld hatten zumindest einen positiven Effekt: Der Landkreis wurde in den letzten beiden Jahren untersucht wie kein zweiter in Deutschland. Nicht nur Abbruch- und Recyclingunternehmen tummeln sich seit der Wende am maroden Industriestandort Bitterfeld, sondern auch jede Menge Umwelt-AnalytikerInnen aus Ost und West. Schwerpunktmäßig wird sich die Umweltkonferenz mit der Wasserverschmutzung und den Untersuchungsergebnissen der großflächigen Bodenverseuchung beschäftigen. Insbesondere die auf dreihundert bis über tausend geschätzten Altlasten im Kreis stehen auf der Tagesordnung.

Aber nicht nur ökologisch, auch ökonomisch ist die Lage in der Chemieregion desolat. Von den einst 17.000 Beschäftigten der Chemie AG hatten zu Beginn dieses Jahres noch 7.200 einen Arbeitsvertrag; in der Wolfener Filmfabrik arbeiten von ursprünglich 13.000 nur noch rund 3.000 Menschen. Im Braunkohletagebau sieht es nicht besser aus. Sämtliche Umweltentlastungen seit der Wende gehen auf das Konto von Betriebsstillegungen. Die ökologische Sanierung der geschundenen Region, von westdeutschen Politikern vielfach versprochen, hat noch nirgendwo begonnen.

Um so größer ist in Bitterfeld die Hoffnung, daß mit der Konferenz, die eine in Deutschland einmalige Datenbasis über die Vergiftung einer Region liefern wird, der Druck zur Sanierung wächst. Vor diesem Hintergrund dürfte das Bürgerforum am Donnerstag abend, auf dem sich die AnwohnerInnen bei den WissenschaftlerInnen über den Zustand ihrer Region informieren können, besonders spannend werden. Motto der Veranstaltung: „Stellen Sie jetzt die Fragen, für die Sie früher nach Bautzen gekommen wären!“