Endlich soll aller gedacht werden

■ Zum Jahrestag des Reichstagsbrandes Mahnmal für ermordete Reichstagsmitglieder eingeweiht

Berlin (taz) — Ein Tag vor dem heutigen Jahrestag des Reichstagsbrandes weihte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth in Anwesenheit von viel politischer Prominenz ein Mahnmal zum Gedenken an die rund hundert ermordeten Reichstagsabgeordneten ein. Auf der Fotoarbeit von Katharina Sieverding im Inneren des Reichstags züngeln in bedrohlichem Schwarz-Rot-Gold die Flammen des Reichstagsbrandes, den die Nazis 1933 zum Auftakt ihres Weltenbrandes und zum Vorwand für die Verfolgung von Kommunisten und Sozialdemokraten nutzten. In „Gedenkbüchern“ neben der großformatigen Fotocollage sind alle Abgeordneten, die ihnen zum Opfer fielen, mit Porträt und Parteizugehörigkeit erwähnt. Nun endlich, nach fast einem halben Jahrhundert.

Denn auf einer 1971 angebrachten Platte im Bundestag, das erwähnte Frau Süssmuth auch in ihrer Ansprache, wurde nur den „freiheitlichen Demokraten“ gedacht. 1985 forderte das Berliner Abgeordnetenhaus deshalb einstimmig den Bundestag auf, eine Tafel mit allen Namen am Reichstag anzubringen. Doch Süssmuths Amtsvorgänger Jenninger befand, das historische Material sei unzureichend, in Wirklichkeit aber mochte er nicht an die Kommunisten erinnern, die von der Verfolgung am stärksten betroffen waren. Ein Forschungsauftrag an die „Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien“ wurde vergeben, die 1991 eine umfangreiche Dokumentation des Schicksals der früheren Abgeordneten veröffentlichte.

Der 1900 geborene Sozialdemokrat Josef Felder war einer von ihnen. Er hatte das KZ Dachau überlebt und berichtete den Versammelten gestern in immer noch lebhafter und leidenschaftlicher Rede, wie er und seine Fraktion nach dem Reichstagsbrand und schon erfolgter Verhaftung der KPD-Abgeordneten als letzte gegen Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ stimmten. Parallel dazu legte die unter anderem von Lea Rosh getragene Bürgerinitiative „Perspektive Berlin“ einen symbolischen Grundstein für ein weiteres Gedenkmal direkt vor dem Reichstag, das, gefördert vom DGB und dem Berliner Kultursenator, im Juni 1992 fertiggestellt werden soll. Die Idee dazu war vor vier Jahren entstanden, als sich der Bundestag immer noch hartnäckig dem Erinnern zu verweigern schien. Hier sollen ebenfalls, diesmal aber für die Öffentlichkeit zugänglich, auf Namenstafeln alle verfolgten und verfehmten Reichtagsabgeordneten verewigt werden. usche