Komme, was wolle: Mielke-Verfahren geht weiter

■ Die „Nazi-Anklage“ gegen den Ex-Stasi-Chef bleibt bestehen/ Einstellungsanträge verworfen

Berlin (taz) — Justitia ist fest entschlossen! Kein Pardon für den des Polizistenmordes angeklagten Erich Mielke! Im Saal 700 des Berliner Landgerichts wird weiterverhandelt. Der Hut war da, der darunter verborgene Angeklagte sprach sogar. „Alles Lug und Trug“, sagte Mielke. Wer fehlte, war einer seiner Anwälte: Jürgen Wetzenstein- Ollenschläger hatte sein Mandat niedergelegt — wegen der „Anfeindungen“, denen er sich als früherer Direktor des Ostberliner Bezirksgerichts Lichtenberg „ausgesetzt sieht“. Gegen Wetzenstein laufen inzwischen 29 Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung.

„Wir sind jetzt nur noch zwei“, bemerkte Pflichtverteidiger Hubert Dreyling (West) und forderte eine Verfahrensunterbrechung. Wetzenstein habe sich besonders auf die zeitgeschichtlichen Umstände des Bülowplatz-Verfahrens von 1934 konzentriert, und deshalb müsse man sich nun neu einarbeiten. „Wie ich aus der 'Bild‘-Zeitung vom gestrigen Tage entnehme“, bemerkte Dreyling weiter, „soll das Verfahren offensichtlich nicht eingestellt werden.“

So geschah es. Der Vorsitzende Richter Theodor Seidel verlas einen Beschluß und wies die drei Einstellungsanträge zurück. Die Strafkammer hält daran fest, daß die Mielke zur Last gelegte Tat aus dem Jahr 1931 „durchweg als Mord und als versuchter Mord“ zu werten sei. Die Verjährung sei niemals unterbrochen worden. Sie habe vielmehr gelgentlich „geruht“, sei es durch das Ende der deutschen Rechtspflege am 8. Mai 1945 oder weil die Sowjetische Militäradministration die Akten 1947 einfach einbehielt und dadurch die weitere Verjährung bis 23. Februar 1990 „hemmte“.

Damals wurden die Akten, wie Seidel versicherte, einschließlich des fehlenden Bandes XI, der das Protokoll der Hauptverhandlung von 1934 enthält, in Mielkes Privatwohnung von der Generalstaatsanwaltschaft der DDR beschlagnahmt. Bald darauf seien die Akten dort „verschwunden“ und später anonym zurückgegeben worden. Allerdings ohne den Band XI, den habe der „unbekannte Erwerber unterschlagen“.

Anhand von Gutachten aus dem Max-Bürger- Krankenhaus legte Seidel dar, daß der Angeklagte auch weiterhin verhandlungsfähig ist und auch nicht unter geistigen und körperlichen Einschränkungen leidet. Vielmehr sei er im Alltag gut orientiert, voll beweglich und auch schon einmal „flink wie ein Wiesel unters Bett gekrochen“. Auch benutze er den von ihm erbetenen Heimtrainer regelmäßig und erzähle aus seinem Leben.

Dann folgte eine sehr kurze Verlesung der Anklage: „Der Arbeiter Erich Mielke wird angeklagt, am 9. August 1931 den Polizeihauptmann Anlauf getötet zu haben...“ — „Nazi-Anklage!“ schimpften Dreyling und ein Teil der Zuhörerschaft. Richter Seidel hielt dagegen: „Die Aussage von Beweismitteln kann erst nach Prüfung der Beweismittel gewürdigt werden.“

Über dem Portal des Saals 700 tänzelt in Moabit leichtbekleidet eine in Sandstein gehauene Justitia: Ohne Waage und Augenbinde — aber geradezu sinnlich hin- und hergerissen zwischen dem Schwert in der Rechten und dem Füllhorn der Gerechtigkeit in der Linken. Götz Aly