Vorurteile in der eigenen Szene

■ Homo-Beamte luden zur Diskussion über Doppeldiskriminierung schwuler Ausländer/ Forderung: Aufenthaltsrecht für schwule Paare und Asylsuchende

Berlin. Wie böse und gemein die Gesellschaft zu einer 65jährigen, alleinerziehenden, behinderten und lesbischen Drogenabhängigen arabischer Herkunft mit HIV-positivem Testergebnis sein muß, kann man sich leicht ausmalen. Gar nicht so einfach ist es, die sogenannte »Mehrfachdiskrimierung« faßbar zu machen und auseinanderzudröseln. Die Homo- Beamten des Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen haben es Mittwoch abend einmal versucht. Ihrer Einladung zur Podiumsdiskussion »Schwule Ausländer — Diskriminierung ohne Grenzen?« folgten rund 300 Leute. Viel zu tun bekam Moderator Eberhard Seidel-Pielen allerdings nicht. Denn die Diskussion zu dem von der Schwulenbewegung bislang vernachlässigten Thema wollte nicht so recht aufkommen. Die geladenen Experten — der Chef der Schwulen Internationale, Selman Arikboga, die Mitarbeiterin der Ausländerbeauftragten, Ulrike Haupt, der Soziologe Michael Bochow und der Sprecher des Schwulenverbands in Deutschland, Volker Beck — begnügten sich mit wohlformulierten Statements, die nebeneinander stehenblieben.

Die Ergebnisse seiner Studie zur Einstellung der Deutschen gegenüber Minderheiten stellte Michael Bochow vor. Er habe herausgefunden, daß Rassismus und Schwulenfeindlichkeit »ähnliche Entstehungsmuster und die gleiche soziale Funktion« hätten. Homos und Ausländer hätten einen gemeinsamen Feind, der vor allem in ärmeren, ungebildeten, konservativen, sexualfeindlichen und monogamen Bevölkerungsteilen zu finden sei. Um Diskriminierung abzubauen, müsse man an den Strukturen der Gesellschaft ansetzen.

Ganz so einfach dürfe man es sich nicht machen, meinte Selman Arikboga. Der schwule Kurde erinnerte daran, daß vor allem im islamischen Kulturkreis starke Vorurteile gegenüber Homosexuellen bestehen und deutsche Schwule von türkischen Jugendgangs überfallen werden. Andererseits gebe es auch Diskriminierung, die von Schwulen ausgehe. So würden Ausländer in der Szene oft als Stricher oder als besonders geile Sexmaschinen angesehen und ihnen der Zutritt zu einigen Kneipen verwehrt. Arikbogas Vorwurf, die Ausländerbeauftragte Barbara John habe »noch nie etwas für schwule Ausländer getan«, konnte ihre Mitarbeiterin Ulrike Haupt nur bestätigen. »Ich habe vierzehn Tage lang überlegt, was ich hier sagen soll«, erklärte sie zu Beginn ihres Beitrags und wußte es am Ende immer noch nicht. Aus ihrer Arbeit waren ihr nur Fälle bekannt, nach denen schwule Ausländer trotz Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen ausgewiesen wurden. »Aber hier können wir nichts machen, das ist Gesetz.«

Mehrere Vorschläge, wie sich innerhalb des bestehenden Rechts die Situation ausländischer Schwuler verbessern ließe, unterbreitete der Homo-Aktivist Volker Beck. So liege es in der Kompetenz des Senats, den Begriff der Familienangehörigen so weit zu fassen, daß auch schwule Lebenspartner darunter fallen. Solange Homosexuellen die Ehe verwehrt bleibe, müßten diese Spielräume ausgeschöpft werden. Weiterhin appellierte Beck an den Senat, Schwulen, die in anderen Ländern verfolgt werden, eine pauschale halbjährige Duldungsfrist einzuräumen. Diese »Schonzeit« könne man nutzen, um die Verfolgung von Homosexuellen bundesweit zu thematisieren und im Asylrecht abzusichern. Die Homo-Beamten forderte Volker Beck auf, gegenüber Innensenator Heckelmann mehr Druck auszuüben.

Auf die ersten Annäherungsversuche von Schwulen an die Doppeldiskriminierung ihrer ausländischen Schwestern reagierten einige Lesben im Publikum mit Staunen. In ihren Reihen bestünde ein noch größerer Nachholbedarf, meinte Ipel, die überraschend den Gründungsaufruf einer Gruppe lesbischer Türkinnen vorstellte.

Kommt das gleichgeschlechtliche Referat ihrem Wunsch nach und organisiert eine zweite Podiumsdiskussion über die Situation ausländischer Lesben, würde es allerdings noch komplizierter werden. Denn dann müßte schließlich noch eine dritte Diskriminierung — die der Frauen — berücksichtigt werden. Micha Schulze

Die Gruppe türkischer Lesben trifft sich am 14. März, um 19.30 Uhr im Mädchenladen Wedding, Maxstraße 1, Telefon: 4627517.