Ein letztes Helau auf den ach so schönen Ostkarneval

Vorbei die schöne Zeit der Einheit von Karneval und der Politischen Öffentlichkeitsarbeit von Staat und Partei/ Die Heiterkeitsprofis schunkeln in Erfurt und anderswo jetzt genauso langweilig wie im Westen/ Nur das Publikum ist noch anspruchsloser als in den Altbundesländern  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

Früher, in den fünfziger, sechziger und sogar noch in den siebziger Jahren hat der Karneval in der DDR richtigen Spaß gemacht. Weil alles so schön gefährlich war und die Kostümierung von vornherein ein Glücksspiel. In traditionellen Kostümen konnte man's riskieren. Pirat, Cowboy, Prinzessin oder verruchtes Frauenzimmer im Zuckersack. Aber wehe, du kamst in jener Zeit, der Rock 'n' Roll war hier noch Inbegriff der Dekadenz, als Elvis, oder, hilf Himmel, als Tod. Auch den gab es nicht im Sozialismus. Die Leute starben nämlich nicht, sie zogen nur weiter. Oder, Gnade dir Gott, es wurde bekannt, wer da als nuschelnder Spitzbart den Landesvater verunglimpfte, dann war man dran. Aber nur, wenn es an Ausreden mangelte.

Keine Atempause für den Stalinismus

Ein legendärer Ostkarnevalist operierte einmal mit einem großen Schild um den Hals, „Scheißstaat“. Augenblicklich tauchten zwei Masken hoch, Schneeball und Kapitän. Sie forderten den Verleumder mit schwerer Zunge auf, mitzukommen. Kommentar des Unerschrockenen: „Ihr wißt doch gar nicht, welchen Staat ich meine.“

Blitzartige Antwort: „Es gibt nur einen Scheißstaat.“ Der Witzbold dachte natürlich überhaupt nicht daran mitzukommen. Die Masken wohl auch nicht mehr, ihn mitzunehmen. Der Lapsus hätte sie die Gummiohren gekostet. Sonst aber hatte der Stalinismus auch in den tollen Tagen keine Pause. Und wenn, nur Zwangspause, weil auch die Gralshüter des sauberen, sozialistischen Lebens besoffen waren. Noch weit in die siebziger Jahre hinein wurden die zähneknirschenden SED- Mitglieder und sonstige Angehörige des öffentlichen Dienstes immer zu Rosenmontag mit besonders langem „Parteilehrjahr“ und sonstigen ideologischen Versammlungen heimgesucht. Nur, um sie vor schwülen Faschingssündenfällen aller Art wie unbefugtes Mund- und Zungenspiel und — schlimmer noch — außerehelicher Unzucht an winterlichen Gartenzäunen, zu bewahren.

Die Ohrenbruderschaft war immer dabei

Später dann der Beschluß über die Einbettung des Karnevals in die PÖA (Politische Öffentlichkeitsarbeit). Von Stund an fühlten sich die kommunalen und regionalen Fürsten so richtig eins mit dem schunkelnden Volk, dem sie nun einmal nicht in die Töpfe zu schauen brauchten, sondern bei offiziellen Anlässen stotternd schweißtreibende Büttenreden vortragen und bei der anschließenden Fehde kräftig unter die Röcke oder in die Hosen fassen konnten. Man hatte schließlich jene Ohrenbruderschaft, genannt Stasi, die auf jedem Faschingsbums vertreten war. Was gäb ich drum, diese Befehle bezüglich der anzulegenden Maskerade einmal lesen zu können.

„Genosse Bornkessel wird auf dem Fastnachtsball als Präsident Kennedy (lebend) karnevalistisch wirksam, um in gewisse proamerikanische Faschingskreise (weiblich) einzudringen. Sein anhaltinisch-sächsischer Dialekt ist für die Dauer der FO (Faschingsoperation) gegen eine US-imperialistische Aussprache auszutauschen.“ Vorbei solch Köstlichkeit. Vorbei auch das einmalige Überlebenstraining im Südthüringer Wasungen. Dort, in der Karnevalshochburg der einstigen DDR wurde sich zum Abschluß immer innigst und lange geprügelt, um dann stundenlang besinnungslos, bei 15 Grad Minus, in der unberührten Vorderrhönlandschaft auszunüchtern. Wer es überstand, mitunter kam ja ein Rettungswagen des Weges, wird sehr alt werden. Wer nicht, wenn kein Sankra kam, genießt noch heute, als großer Toter, andächtige Verehrung.

„Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend...

Doch nun hat die Westprofessionalität auch im Ostkarneval Einzug gehalten. Gewaltiger Vorteil, wenigstens an Blasorchestern besteht kein Mangel. Die einstigen FDJ-Fanfarenzüge wurden auf Frohsinn umgerüstet und statt „Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend, bau auf“ zu blasen, stacheln sie heute die Liebeslust des närrischen Volkes an und locken schmetternd: „Steig auf, steig auf, freie deutsche Jugend, steig auf.“

Ansonsten ist alles so wie im Westen. Die alten Narren sitzen hie wie da in den Elferräten und werfen eitel mit den fetten Händen schmierige Küsse in das Publikum, salutieren dümmlich stolz und reiben unter Trommelwirbel die eingefallenen Hinterteile aneinander. Die Büttenreden von unendlicher Langeweile, auch wenn sie von Genschman persönlich in seiner hallensischen Domäne geschwungen werden. Das Publikum der Ostprunksitzungen ist zwar noch nicht ganz so reich, wie das drübige, aber auf dem besten Weg dahin. Der neuen Rolle freilich noch ungewohnt, kreischt man selbst beim blödesten Witz besonders laut und entzückt. Am lautesten immer Frau Dr.Bergmann-Pohl. Sie versteht eben auch jeden Geistesblitz, selbst wenn es gar keiner war. Nachholbedarf halt. Zu lange hat man gelitten unter der 40jährigen Humorlosigkeit.

Beim Karneval jedenfalls macht die Einheit riesige Fortschritte. In Erfurt sowieso. Zumal wir schon vor 500 Jahren Mainzer Kolonie waren. Das Rad im Wappen beider Städte ist der Beweis dafür. Mit dem Berufswitzbold Bernhard zieht nun der Narrhallamarsch in Thüringen ein. Jede Menge pfälzischer Regierungsspaßvögel mit ihm.

Angstfrage in Thüringen: „Bleibt ihr nach den tollen Tagen, Gott behüte, hier oder pfeift ihr wieder ab?“ Antwort: „Wir bleiben! Helau!“