■ AUS POLNISCHER SICHT: Unbefleckte Empfängnis im Grand Canyon
Ein durchschnittlicher Hollywood-Streifen (zugegeben, mit einem guten Einfall literarischer Art — Grand Canyon als eine Metapher für die realexistierende Wunde in der amerikanischen Gesellschaft, die die Reichen von den Armen teilt und von der — wie Eiter — Gewalt erumpiert) — obsiegt über viele gute und sehr gute Filme, auch über mindestens ein Meisterwerk: Unbefleckte Empfängnis von Jamil Delhavi. Es ist nicht sehr tröstend, daß man in einigen Jahren weder den Namen des Grand Canyon-Regisseurs noch dessen Filme im Gedächtnis behalten wird, während Delhavi einer der großen Gestalten im Weltfilm der neunziger Jahre werden wird. Es ist peinlich, wie man einen Film außer acht gelassen hat, der — besonders krass am Beispiel der Amerikaner — gerade diese nonchalante Haltung des weißen Menschen gezeigt hat, die zu solchen Ergebnissen wie bei der diesjährigen Berlinale führt. Mir scheint es, daß man in Deutschland nur dann antiamerikanisch ist, wenn es um Politik geht, selbst wenn Amerikaner recht haben. Handelt es sich aber um den viel schlimmeren kulturellen Imperialismus Hollywoods, Disneylands und Fast-Food-Multis, werden Amerikaner begeistert aufgenommen — übrigens auch in Frankreich, wo das Eurodisneyland entstand und den Kulturminister Jack Lang dem Silvester Stallone einen Kulturpreis überreichte. (Dem Grundgesetz sei Dank, daß die Deutschen keinen Bundeskulturminister besitzen, der könnte vielleicht Mist anbauen!)
Ein Festival wie die Berlinale könnte und sollte die Filme der kleinen Kinematografien promovieren, die gut, ja, oft besser als die amerikanischen sind, jedoch über keine monopolartigen Vertriebsnetze verfügen. Warum man in vielen Berliner Kneipen nur ein bestimmtes Bier trinken kann? Weil das Lokal entweder von einer Brauerei gepachtet wird oder von ihr auf eine andere Weise abhängig ist — nicht etwa wegen des monistischen Geschmacks des Wirtes. Europäer, befreit Euch von Vorurteilen gegen Amerikaner und gleichzeitig von der kulturellen Dominanz, die keineswegs begründet ist! Es geht nicht um buy european!-Ideologie, sondern um Vernunft. Niemand würde sein eigenes Kind ausschließlich mit Hamburgern füttern, weil man weiß, daß ihr Supergeschmack von Geschmacksverstärkern kommt; genauso wenig sollte man einen amerikanischen Film deswegen preisen, weil er besonders effektvoll ist, weil dies von der Geschmacksverstärkerindustrie (Gewalt und Sentimentalität, 50:50 made in Hollywood) kommt und nicht von Ernährungswerten. Das Ethno- und Vollwertkino sollte eine gesunde Grundernährung bilden (eine Utopie, trotzdem erstrebenswert) und braucht Förderung. Die nichtkommerziellen Institutionen wie die Berlinale müßten sich für dieses Kino einsetzen. Der Goldene Bär für Grand Canyon ist, als wenn man in einer Öko-Test-Zeitschrift den Ernährungspreis an die Pommes Frites (vegetarisch und preiswert!) vergeben würde: Die Leute fressen doch sowieso gar nichts anderes!
PS: Rein zufällig paßt der Titel dieses Scherzes zu einem anderen aktuellen Thema. Vor einigen Tagen wurde in den USA bekannt, daß 1982 der damalige Präsident Reagan mit dem Papst eine »heilige Allianz« gegen den Kommunismus geschlossen habe. Die Sache ist insofern heikel, als die amerikanische Verfassung, die eine Trennung von Staat und Kirche vorschreibt, umgangen worden ist, weil sich Reagan gegenüber dem »Soldaten der Unbefleckten« verpflichtet habe, die staatliche Finanzierung der Familienplanung in den USA auszusetzen. Man müßte Sinead O'Connor in den Vatikan schicken, vielleicht kann sie Wojtyla in Sachen Abtreibung genauso umstimmen wie die irische Regierung? Piotr Olszowka
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