BeFreier und Befreite

■ Zur Welturaufführung des Films von Helke Sander

Der Krieg sei der Vater aller Dinge ist ein Ausspruch von Sokrates, den ich als junger Mann gehört habe, und ich fragte mich damals, welchen Anteil an dieser Tat die Mütter haben und wieso sie von Sokrates nicht erwähnt werden. Zeugen sie nur die Kinder für dieses scheinbar rein männliche Geschäft, oder sind auch sie begeistert, wenn ihre Söhne und Männer voller Stolz in den Kampf gegen den Feind ziehen?

Ungefähr zur selben Zeit, als das kulturelle Berlin dem 50. Jahr der Schlacht um Stalingrad gedachte, zogen die im Golfkrieg siegreichen US- Soldaten, von den Politikern und ihren Ehefrauen, der männlichen und weiblichen Bevölkerung gefeiert, durch New York. Diese Siegesparade war finanziert von einem großen US-Getränkehersteller.

Vom Verlauf der Schlacht, die diese erfolgreichen Jungen geschlagen haben, erfuhren wir wenig. Erfahren haben wir auch nichts davon, auf welche Weise sie ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigt haben.

Vor fünf Jahren habe ich meinen ersten Urlaub in Thailand verbracht. Erst als ich selbst in diesem Teil von Asien war, bekamen die Länder Vietnam, Laos, Kambodscha, deren Namen ich in den Jahren 1968/69 oft bei Demonstrationen gerufen hatte, eine konkrete Gestalt. Ich wußte zwar, daß die berühmt-berüchtigten B-52-Bomber in Thailand getankt und beladen wurden, aber damals sprach kaum einer davon, daß auch die US-Soldaten frischen Kampfesmut in den Armen von Tausenden junger Thailänderinnen tankten. Damals begann, was heute dazu geführt hat, daß Thailand zu einem Bordell für die Männer der Welt geworden ist.

Der Krieg als Vater aller Dinge.

Als Kind habe ich den deutschen Faschismus und das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt. Auf der Flucht habe ich das zerstörte Berlin gesehen und 1949 das zerstörte Dresden.

Die Wirtin meines ersten Zimmers und die Freundin meiner Tante litten unter »zerrütteten Nerven« und starben beide in einer Nervenheilanstalt. Ihr »Zustand«, so sagte mir meine Tante damals hinter vorgehaltener Hand, rühre daher, daß sie am Ende des Krieges von russischen Soldaten vergewaltigt worden waren. Am 25. Februar habe ich im (Ost- )Berliner Filmpalast International leider nur den ersten Teil des neuen Films von Helke Sander, BeFreier und Befreite, gesehen.

Ich kenne Helke Sander aus der gemeinsamen Studienzeit an der DFFB. Damals war sie die Frau, die durch ihre beharrliche Art, zu fragen, zu beobachten, zu forschen, zu kritisieren und Zusammenhänge aufzuzeigen, meine und unsere männlichen Verhaltensweisen aufdeckte, gegen sie protestierte und kühne alternative Entwürfe vorlegte, sie in ihrem Leben und in ihren Filmen realisierte. Um so gespannter war ich auf ihren neuen Film, vor allem darauf, wie sie das »Thema« filmisch gestaltet hatte.

Was ich gesehen habe, hat alle meine Erwartungen übertroffen. Berlin, die Hauptstadt des Tausendjährigen Reiches, zerstört, wird von der Roten Armee Haus für Haus erobert. Die männlichen Bewohner sind im Krieg gefallen, in Gefangenschaft, an anderen Fronten oder geflohen. Die Frauen sind allein geblieben. Die Eroberer, die Männer der Roten Armee, endlich als Sieger am Ziel, nehmen sich, was sie bekommen können. Uhren, Lebensmittel, Fahrräder und die Frauen.

Sie vergewaltigen sie so oft, wo und wann immer sie wollen.

Helke Sander berichtet auch von den Taten der Männer der deutschen Wehrmacht in Rußland.

Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Frustrierte Männer produzieren Waffen, mit denen sie sich gegenseitig umbringen. Haben sie das getan, vergreifen sie sich an den Frauen ihrer Gegner. Aufgestauter Haß, unterdrückte Lust, rohe Gewalt entlädt sich im Akt der Vergewaltigung. Steht am Ende jeder Waffenproduktion die Vergewaltigung?

Helke Sander ist es gelungen, genaue Informationen, erschütternde Aussagen und erstmals öffentlich geäußerte Bekenntnisse von beteiligten Frauen und Männern zu erforschen und in dem Film zu versammeln. Diese Arbeit allein ergibt noch keinen Film. Erst die dem Inhalt angemessene Gestaltung der Gesprächsrunden und deren Montage mit den Dokumenten schaffen ein filmisches Werk. An diesem Punkt scheitern viele Filme. Besonders Dokumentarfilme sind entweder politisch brisant, aber formal wenig gestaltet, oder sie sind visuell beeindruckend, dafür fehlt der gesellschaftliche Bezug. Nicht nur der Schriftsteller Brecht sprach in Streitgesprächen oft über die Schwierigkeit der dialektischen Einheit von Form und Inhalt.

Das bisher Verschwiegene, das Unaussprechliche, für den Zuschauer kaum Erträgliche wird in dem Film von Helke Sander behutsam so formuliert und gestaltet, daß nicht nur eine kritische Anklage entsteht, sondern auch eine »heilende« Antwort.

Helke Sander hat einen hochpolitischen, künstlerisch sehr bedeutsamen Film geschaffen, dem weltweit gesellschaftliche und filmhistorisch große Aufmerksamkeit zuteil werden wird. Diese Leistung muß nicht nur mit dem Bundesfilmpreis, sondern mindestens mit einem Oskar und auch einem Felix (ja wir Männer schaffen auch unsere Statuen) gewürdigt werden.

Um so erstaunlicher war es für mich zu erfahren, daß dieser Film von dem »Internationalen Forum des Jungen Films«, das sich seit seiner Gründung als politisch vielseitig offen und experimentierfreudig versteht, nicht nur nicht zur Vorführung eingeladen, sondern sogar abgelehnt wurde.

Diesen Film kann keiner ablehnen, geschweige denn ignorieren. Wenn, dann lehnt dieser Film seine Beurteiler/innen ab. Die Auswahlkommision des »Forums« hat einen großen Fehler begangen mit dieser ablehnenden Haltung. Nicht für den Film von Helke Sander, sondern für ihr eigenes Ansehen und Programm. Eine öffentliche Stellungnahme würde ich sehr begrüßen.

Die Heuchelei derer, die UN- Truppen zu Überwachung eines Friedens nach Jugoslawien schicken wollen, besteht darin, daß sie nicht die Herstellung und Verbreitung von Munition und Waffen verbieten. Gerd Conradt