KOMMENTAR
: Geschichte auf der Straße

■ Ein Geschichtslehrpfad an der Mauer täte allen gut

Ja wo lief sie denn? Frustriert müssen ausländische BesucherInnen heutzutage suchen, wo denn eigentlich die Mauer gestanden hat. Doch dürfte es weniger die Enttäuschung der Touristen als vielmehr historisches Bewußtsein gewesen sein, das verschiedenen Initiativen die Idee eingab, einen durch den Senat geförderten Wettbewerb für einen »Geschichtslehrpfad« zu fordern. Denn wo sonst, außer hier, liegen die deutschen Vergangenheiten schichtenweise auf der Straße? Und wo sonst, außer hier, sind diese Spuren durch mögliches Überplanieren im Rahmen der Hauptstadtplanung so gefährdet? Sony beispielsweise will direkt auf dem Gelände des früheren »Volksgerichtshofes« der Nazis bauen. Daß dessen Justizterror — rund 5.000 Todesurteile — bisher nirgendwo in Berlin dokumentiert wird, ist ein Skandal für sich. Auch bei den Ministergärten, die früher die Fläche der »Reichskanzlei« enthielten und heute von der Bundesregierung als Bauland beansprucht werden, ist der Kampf um die Hereinnahme der Spurensicherung in den städtebaulichen Wettbewerb noch nicht abgeschlossen.

Wenn Landes- und Bundesregierung in der empfindlichen internationalen Öffentlichkeit nicht irgendwann als größenwahnsinnige deutsche Michels dastehen wollen, die unfreiwillig Kontinuität herstellen, indem sie ihre Büros just auf unmarkiertem Nazigelände errichten, dann täten sie gut daran, Projekte wie den Geschichtslehrpfad zu fördern. Die Regierenden sollten froh sein, daß es diese Initiativen von unten gibt, die ihnen Material in die Hand geben, den Hauptstadtplanern auf die Finger zu klopfen. Zur Erinnerung: Auch das ehemalige Gestapogelände, das die Ausstellung »Topographie des Terrors« als Pflichtprogramm für ausländische Delegationen beherbergt, wäre heute wohl längst überbaut, wenn es diese Initiativen nicht gegeben hätte. Ute Scheub