Verlorene Zeit

■ Kabarett im »Magazin«

An der Pforte des Prunkbaus hängt kein Schild, das weiterhilft. Am Info-Tresen im Flur sitzt jedoch ein älterer Herr, der Auskunft gibt über das Labyrinth der Gänge im Haus des Kulturbundes von Berlin. »Der Kinosaal des Clubs von Berlin«, weist der Graumelierte auf die neuen Begriffe hin, »ist im zweiten Stock.«

Am Eingang des kleinen Saals, der sich langsam füllt, liegt die Zeitschrift des Veranstalters aus, der sich Mitglieder des Ensembles der kleinen Bühne des Friedrichstadtpalasts eingeladen hat, um eine Schau mit Ausschnitten aus Kabarettprogrammen zu präsentieren. Das farbige Magazin heißt 'Magazin‘ und hatte als 'Zeitschrift für Erotik, Literatur und Lebensart‘ in der Deutschen Demokratischen Republik wohl auch die Funktion eines Damen- und Herrenmagazins. Die Dame in der vierten Reihe trägt das Parfum, das wie verwesendes Fleisch riecht, und bevor das zweite Dutzend Zuschauer voll ist, werden die Flügeltüren geschlossen. Ade, du Barmann mit dem kühlen Sprudel.

»Kurzweil« steht auf der Seite des elektronischen Tasteninstruments, vor dem ein bärtiger Musiker Platz nimmt. Weiter geschieht nichts. Wie in der U-Bahn zwanzig Minuten zuvor warten die Anwesenden, daß die Zeit vergeht. Endlich geht die Tür auf, und drei fröhliche Schauspieler — zwei Männer, eine Frau — treten aufs Podest, um über Kandinsky, Strawinsky und Kempinski zu plaudern. Ein Lied zwodrei trällern sie von Promiskuität (dem Veranstalter zuliebe?) und pathologischen Mördern. Es folgt ein Sketch, ein Song und abermals ein Song. Im Gossenslang der Hauptstadt aus dem Mund von Heike Jonca, die den ganzen Abend über die rechte Stimmlage nicht finden mag, wirkt der so wunderbar unecht, wie es nur eine Persiflage sein kann, — das schauspielerische Gehabe so avanciert wie Hallervordens Nonstop Nonsens.

Auch die Herren — einer dick, der andere jung — legen sich ins Zeug, um mit schlecht gespielter Holzhammerkomik Glanz und Elend des Schauspielerberufs vorzuführen. Sich von Pointe zu Pointe kaspernd, scheinen sie zu sagen: Wehe, ein Künstler landet für immer auf einer Bühne wie dieser. Stabreim an Stabreim fügend, sind sie auf Kalauer abonniert, die so einfältig sind, daß das Publikum angesichts der Frechheit lacht, mit der das Altbackene präsentiert wird.

Der Viertelstunde Dada (»Wußten Sie, daß Dada sich im Klein- und Großhirn von Affen ebenso vermehrt wie in den Hintern von Staatsmännern?«) folgen Texte von Kurt Tucholsky. Das Trio, das sonst leichte Kost im »Ei«, der kleinen Bühne des Friedrichstadtpalasts, serviert, blüht einen Moment lang auf. Doch der traurige Song von der Barfrau — »Ich mixe hier Drinks, aber mit mir wird nichts gemixt« —, bei dem Jonca im kurzen Roten kurz wirklich anwesend scheint, ist zu kurz, um das mit flauen Pointen überschüttete Publikum zu mehr als freundlichem Applaus zu bewegen. Das gelingt auch Thomas Pötzsch im letzten Teil des 60minütigen Programms nicht, als er mit nachlässiger Schauspielerhaltung das Lied vom Onanisten vorträgt: »Ich wichs', sonst nix«, singt er. So zu reimen muß man sich erst einmal trauen. Stefan Gerhard