Die unangemessene Bescheidenheit der Frauen

■ Kongreß: Frauenarmut im Osten Deutschlands

Berlin. Armut in Deutschland? Gibt es nicht, hier muß doch niemand hungern! So jedenfalls tönt es satt aus vollen Hälsen. Gemessen wird »Armut« dabei an Verhältnissen von Dritte-Welt-Ländern. Aber »Armut« ist ein relativer Begriff. Sie muß gemessen werden am sozio-kulturellen Lebensniveau, an den Ansprüchen der Gesellschaftsmitglieder — also an dem, was für jeden »normal« und erreichbar ist. Im Wohlstandsland Deutschland wächst seit der Wende die Zahl derer, die sich nicht mehr leisten können, was für andere selbstverständlich ist. Besonders betroffen sind ostdeutsche Frauen.

Um »Frauenarmut im Osten Deutschlands«, ihre Ursachen, ihre Folgen, ihre Bekämpfung ging es am Samstag im »Haus am Köllnischen Platz«. Eingeladen hatte der »Frauenpolitische Runde Tisch«, ein Zusammenschluß von Frauen aus verschiedenen Gewerkschaften, Parteien und Gruppen.

Deutlich wurde in den Einführungsreferaten am Vormittag von Carola Möller (West) und Christina Klenner (Ost), daß der jeweils geschlechtshierarchisch gegliederte Arbeitsmarkt in beiden Teilen Deutschlands Frauen benachteilt hatte — bei Bezahlung, Bewertung der Arbeit oder Zugang zu höheren Positionen. Doch zu DDR- Zeiten hatten die Frauen wenigstens Arbeit. Und sie konnten damit ihre Existenz allein sichern. Seit der Vereinigung sind die Frauen, noch stärker als Männer, von Armut bedroht. Im November 91 war jede siebte ehemals erwerbstätige Frau arbeitslos, im Gegensatz dazu »nur« jeder zwölfte Mann. Die Sozialleistungen aber können ein »normales« Leben nicht sichern.

Daß aber auch trotz eigener Arbeit die Existenz nicht mehr gesichert werden kann, ist für die ostdeutschen Frauen neu. Das bedingen die zahllosen, immer weiter ansteigenden »ungeschützten« Arbeitsverhältnisse, in denen vorrangig Frauen arbeiten — ohne Sozialversicherung, unterbezahlt oder nicht dauerhaft, was ihre Chancen auf eine angemessene Rente oder ausreichendes Arbeitslosengeld erheblich mindert. Folglich sind Frauen mit oder ohne Arbeit von Armut bedroht und zugleich abhängig, vom Sozialamt oder von einem verdienenden Partner.

Betroffen von diesen Verhältnissen, verunsichert durch Schuld- und Versagensgefühle ziehen sich die Frauen zurück in die Isolation. »Leider«, so Ursula Schröter von der AG psychosoziale Folgen, »zeigen die Frauen eine unangemessene Bescheidenheit beim Einfordern von Sozialleistungen.« Nur etwa die Hälfte der Betroffenen gehe zum Sozialamt — aus Scham.

Die rund 180 Teilnehmerinnen trafen sich zum Abschluß, um ihre Ergebnisse im gemeinsamen Plenum vorzutragen. Gefordert wurden übereinstimmend die Novellierung von Arbeitsförderungs- und Arbeitszeitgesetz, die Abschaffung ungeschützter Arbeitsplätze, Quotierung und Aufstockung der ABM-Stellen sowie die Mobilisierung der Frauen. sos