Filigranmechanik auf dem Rollrasen

■ Bei den 2. Ostdeutschen Meisterschaften im Tipp-Kick beteiligten sich kaum Fingerkünstler aus dem Osten/ Der Vorjahressieger TFC Eintracht Rehberge leidet unter akuten Nachwuchssorgen

Wedding. Ecke von links. Der angedrehte Ball fliegt über den Torwart und springt mit Effet vom Boden ins Tor. Der Keeper wirbelt hilflos in seinem Gehäuse.

Ein satter Spannschuß von halbrechts. Der Torwart hechtet dem Ball entgegen. Und ehe der Betrachter sich versieht, ruft der Schiedsrichter: „Tor!“ Allerdings war der Ball, vom Keeper abgeprallt, im Tor des angreifenden Spielers gelandet.

Der Ball liegt im Strafraum. Der Torwart zittert und wackelt dem angreifenden Spieler entgegen. Dem gelingt es nicht, aus fünfzehn Zentimetern Entfernung den Ball im Kasten unterzubringen. Das ist nur ein Miniausschnitt von zwei mit bundesdeutschen Spitzenspielern besetzten Tischfußballturnieren, die am Wochenende im Jugendhaus Düppel in Zehlendorf stattfanden.

Am Samstag wurde das 8. Spreecupmannschaftsturnier und am Sonntag die 2. Ostdeutsche Einzelmeisterschaft im Tipp-Kick ausgespielt. Eine Tischfußballvariante, bei der ein zwölfeckiger Ball mit dem flexiblen Bein eines Spielpüppchens ins gegnerische Tor geschossen werden muß. Ausrichter des Turniers war der TFC Eintracht Rehberge, Vorjahressieger und einstige Diva unter den deutschen Tipp-Kickern. Ende der achtziger Jahre mehrfach deutscher Mannschaftsmeister, droht dem Verein nun nach dem Ausscheiden mehrerer Spitzenspieler der Abstieg aus der mit zehn Mannschaften bestückten Bundesliga.

Wer nun glaubt, Tipp-Kicken sei ein Kinderspiel, der hat zwar recht, befindet sich aber trotzdem auf dem Filzweg. Bei den vier großen regionalen Turnieren — zu denen die Ostdeutschen Meisterschaften gehören — beteiligen sich jeweils über hundert Spieler aus dem gesamten Bundesgebiet. Aus den neuen Bundesländern waren allerdings nur zwei Spieler aus Halle in der Halle beteiligt. Selbst Ostberliner Tipp-Kicker gibt es noch nicht. Es wird in mehreren Gruppen jeder gegen jeden gespielt. Die bessere Hälfte kommt jeweils weiter, wird in neue Gruppen zusammengefaßt und darf sich dann erneut gegen alle messen. Für die Endrundenteilnehmer bedeutet das eine Turnierdauer von etwa zehn bis zwölf Stunden. Hier wird von den Sportlern schon eine Menge Steh- und Konzentrationsvermögen verlangt. Und so manch ein Spieler klagte bereits am Nachmittag über massive Kreuzschmerzen.

Gespielt wird pro Spiel zwei mal fünf Minuten. Jeder Spieler darf vier Feldspieler — und die hütet und pflegt er wie seinen Augapfel — mit unterschiedlichen Beinvarianten und einen Torwart benutzen.

Erfunden wurde das Spiel mit dem Rollrasen und den Wackelbeinchen in den zwanziger Jahren vom Stuttgarter Apothekenmöbelhersteller Carl Mayer. 1934 erwarb Edwin Mieg Mayers Erfindung, brachte sie zur Leipziger Messe und führte sie dort erstmals auf Treppenabsätzen — einen Stand konnte er sich nicht leisten — der Öffentlichkeit vor. Ein kapitalistisches Märchen, vom Tellerwäscher zum Millionär. Ganz so dramatisch war es zwar nicht. Doch von da an ging es Schlag auf Schlag. Bereits 1938 konnten einige Hildesheimer dem Hang der Deutschen zur Vereinsmeierei nicht widerstehen und gründeten den ersten Club. Heute gibt es in der Bundesrepublik einen DTFV mit Präsidium und etwa 180 angeschlossenen Vereinen mit über tausend Aktiven, die sich um Pokal- oder Meisterschaftsehren in vier verschiedenen Spielklassen streiten.

Die Berliner Vereine haben große Nachwuchssorgen. Deshalb laden die Rehberger jeden und jede ein — an den beiden Turnieren beteiligte sich aktiv lediglich eine Frau aus Hamburg —, der/die am Tipp-Kick Interesse hat. Peter Huth