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DIE FÜNFTE GEWALT — WEGE DURCH DEN MEDIENDSCHUNGEL Von Ben Vart

Verkehrte Welt: Eine original Nazi-Anklage gegen Erich Mielke brachte in der hiesigen Presselandschaft kaum Justizschelte. Dagegen war dem jüngsten Versuch eines Lübecker Landrichters, in einem sachverständigen Beschluß das Bundesverfassungsgericht gegen das gesetzliche Verbot von berauschenden Hanfprodukten einzuschalten, heftige Reaktionen schlechterwisserischer Schreibmaschinentäter beschieden.

Die Forderung nach Haschischlegalisierung beantwortet die Welt auf ihre Weise — mit dem Foto von einer Fixerin, die sich just eine Kanüle aufzieht. Setzt das dem ganzen die Krone auf oder haben die nur einen in der Krone? Autor Dankwart Guratzsch hat zwar keine Ahnung, legt aber munter drauflos, wenn er den richterlichen Beschluß attakiert: „Ist ein solches Papier angesichts von jetzt schon 2.000 Drogentoten im Jahr, die alle den ,Einstieg‘ in den Genuß von Bewußtseinstrübungsmitteln über Haschisch vollzogen haben, ernst zu nehmen?“ Gegenfrage: Schreibt man derartigen Nonsens (Einstiegsdrogen laut Statistik: Alkohol und Medikamente) eigentlich schon nach zwei Bierchen am Mittagstisch — oder braucht's erst noch einige Magenbitter? Doch Dankwart G. halluziniert ungeniert weiter: „Die Haschzigarette, die einen Rausch von drei Stunden bewirkt...“ Der Mann schreibt wie der Papst, wenn der vom Geschlechtsverkehr redet: ahnungslos, aber bösartig. Und greift zu einem echten Totschlagargument: „In Frankfurt stand 1991 bereits jeder vierte der insgesamt 95 Mord- und Totschlagsfälle in Zusammenhang mit Rauschgift.“ Gemäß dem Motto „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selber gefälscht habe“ hätte ich (Nichtraucher, Antialkoholiker, Drogengegner) auch gern gewußt, wie viele Straftaten im Suff passieren. Der Anteil könnte noch höher ausfallen, wenn das Schreiben solcher 'Welt‘- Artikel auch justiziabel geächtet würde.

Eine Drogenprävention ohne strafende Paragraphen ist mit Springers Minus-Blatt 'Welt‘ nicht zu machen. Interessant allerdings, daß die mit dem Stigma der Wirtschaftsfreundlichkeit behaftete Bonner Tageszeitung ihre Kommentierung ausgerechnet in jener Woche so groß rausbringt, in der das Nachrichtenmagazin von Haschrebell Augstein, der Spiegel, eindeutig titelte: „Dreckiges Geld — Deutsche Banken waschen Drogen-Milliarden.“ Wir ahnen: Es gibt auch hierzulande publizistische Hilfskolonnen, die gerne mit zu verhindern helfen, daß das große Geschäft ernsthaft gestört wird.

Wenn Chefredakteur Franz Josef Wagner eigenhändig Hand an die Schlagzeilen legt, dann erinnern die Ergebnisse oft an schädliche Wirkungen des Pattex-Schnüffelns in Plastiktüten. Nicht spaßig, mehr spacig. Seiner Leserklientel empfiehlt er schon mal allerlei Einnehmbares zur besseren Bewältigung des Alltags — wie auf der neuesten Bunte-Titelseite: „Die Happy-Gesellschaft: Alle nehmen Enzyme — Weniger genervt, jung und schön.“ Und drinnen eine Galerie von Jungen und Schönen wie „Hans-Dietrich Genscher (64)“, „George Bush (67)“ und „Günther Strack (62)“, die sich die Enzyme gewiß nicht nur durch Brombeeren und Kiwi reinpfeifen, wenn Apotheken so Geschmackvolles wie den „VerkaufshitTri-S-Zym- Phytogeriatrikum“ bereithalten.

Steinbach warnt: Die Lektüre dieser Zeitschrift gefährdet ihre geistige Gesundheit.

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