Überlebensgroß Herr Vostell

Zuviel Ehre zum 60.des Selbstdarstellers  ■ Von Stefan Koldehoff

Man nehme:

—einen extrovertierten Künstler, der neben einem zumindest quantitativ herausragenden Oeuvre auch einen runden Geburtstag vorweisen kann,

—sechs Museen in relativer Nähe zueinander, die bereit sind, das Werk dieses Künstlers in einer publikumswirksamen Übersichtsschau gemeinsam nach Werkkategorien geordnet zu präsentieren und schließlich

—ein griffiges, möglichst aus Mund oder Feder des Künstlers selbst stammendes Motto, das den Ausstellungsteilen wenigstens formalen Zusammenhalt bietet, und fertig ist eine Retrospektive mehr. Gegen diese Bezeichnung ihres Mammutprojekts wehren sich die Damen und Herren Verantwortlichen im Katalogvorwort zur großangelegten Vostell- Schau in Köln, Bonn, Leverkusen, Mühlheim/Ruhr und Mannheim allerdings entschieden. „Ungewöhnlich ist, daß dieses Unternehmen sich ausgesprochen nicht als Retrospektive versteht“, heißt es dort selbstbewußt, „sondern als Beitrag zu einer immer noch keineswegs abgeschlossenen Diskussion.“ Wer aber außer den beteiligten Museen diese Diskussion um das facettenreiche Werk Wolf Vostells überhaupt noch führen will, bleibt dabei offen. „Kunst gleich Leben, Leben gleich Kunst“, hatte der gebürtige Leverkusener schon Ende der Fünfziger vollmundig propagiert, um sich anschließend als lebendes und schaffendes Gesamtkunstwerk jeder formalen und ästhetischen Diskussion geschickt zu entziehen. „Die Problematik dieser Formel sei nicht bestritten, die ihr implizite Idyllik im Sinne einer restrospektiven Utopie ist schlicht ein — wenngleich komplexes — Faktum, das folglich kritisch in Rechnung zu stellen ist“, folgerten daraus messerscharf die sechs MuseumsleiterInnen. Und ebenso banal wie ihre Grundlage sind die Ausstellungen auch.

Im Erdgeschoß der Kölner Josef- Haubrich-Kunsthalle etwa ist es fast völlig ruhig. Nur das gleichmäßige Rauschen jener 21 Schwarzweiß- Monitore ist zu vernehmen, die Vostell in Dach, Motorhaube und Kühlergrill eines silbernen Mercedes 600 eingelassen hat. Eine Videokamera im Inneren der Limousine überträgt das Bild des Betrachters auf einen der Monitore. Die Winde, heißt das Ensemble, das 1981 in einem Waggon von Vostells „Fluxus-Zug“ durch Nordrhein-Westfalen rauschte. Erschloß sich damals der kommunikationskritische Ansatz von selbst, bedarf es heute einer vom Meister handgeschriebenen Tafel, um den Sinngehalt zu erläutern: „Es rauscht an einem Ohr rein und am andern wieder raus.“ Nebenan steht ein harkenbewehrter Cadillac inmitten eines Porzellantellermeeres, hängen Vorschlaghämmer impotent und lustlos vor aufgestellten Autotüren. Erst ein Knopfdruck des Museumswächters bringt Leben in Vostelles Environments. Für wenige Minuten harken dann die Harken und hämmern die Hämmer — um anschließend wieder zu schweigen, ein ebenso blutleeres wie totes Relikt längst vergangener Happening- und Fluxus-Zeiten.

Noch müder nähert sich das Kölner Stadtmuseum Vostells Aktionen. Unter dem Titel in köln und von köln aus werden dort die Aktionen und Happenings des lange in der Domstadt wirkenden Künstlers regelrecht dokumentiert. Waren in der Haubrich-Kunstalle wenigstens noch die Reste der einst öffentlichen Kunst zu sehen, sind hier sogar vergrößerte Fotografien, Einladungskarten zu Ausstellungen und Vostells Notizbücher ausstellungswürdig. Wer beide Ausstellungen in Köln gesehen hat, verliert die Lust auf die der Papierarbeiten in Bonn, der Gemälde in Leverkusen und der Multiples und Druckgrafiken in Mannheim. Die penible Aufteilung des unübersichtlich multimedialen Vostellschen Gesamtwerks nach den Werkformen erweist sich als ebenso wenig gelungen wie sein im Oktober bevorstehender 60.Geburtstag als Ausstellungsgrund: So innovativ und wichtig der Beitrag Wolf Vostells als gesellschaftskritischer Gegenpart zur konsumorientiert unpolitischen Pop-Art auch gewesen sein mag, so wenig trägt er heute zur Themendiskussion in der deutschen Kunst bei. Selbst auf die Idee, klare Bezüge zur zeitgleich im Museum Ludwig zelebrierten Pop-Art-Show herzustellen, sind die Kölner Museumsleute nicht gekommen. Stattdessen wird in epischer Länge ein Werk ausgebreitet, dessen Präsentation doch nur an der Oberfläche bleiben kann: Das Leben, von Wolf Vostell zur Kunst erhoben, verhallt schlagartig, wenn ins Museum verbracht.

Einziger Lichtblick im ermüdenden Kanon der Ausstellungen bleibt die Mülheimer Station. Im städtischen Museum werden hier die TV- und Videoarbeiten Vostells gezeigt. Während sein befreundeter koreanischer Kollege Nam June Paik die 1958 erstmals eingesetzten neuen Technologien zur künstlichen Bilderzeugung nicht selten als Verbündete begriff, setzte sich Vostell schon früh sehr kritisch mit dem Medium auseinander, das für ihn die Wirklichkeit filterte, selektiv auswertete und verfälschte. Er betonierte die Bildschirme zu und ließ 1963 sogar einen Fernseher bei lebendigem Programm begraben. Seine fast prophetische Warnung vor der Verführungsmacht der neuen Medien hat, anders als die Happening-Relikte, bis heute ungebrochenen Bestand.

Wolf Vostell

Environments , Josef-Haubrich- Kunsthalle Köln, bis 22.März 1992

in köln und von köln aus (Aktionen, Happenings, Dokumente), Stadtmuseum Köln, bis 22.März 1992

Intermedia , TV und Video, Städtisches Museum Mülheim, bis 23.März 1992

Papierarbeiten , Rheinisches Landesmuseum Bonn, bis 15.März 1992

Das malerische Werk , Museum Morsbroich, Leverkusen, bis 29.März 1992

Die Aktion als Objekt (Multiples und Druckgrafik), Städtische Kunsthalle Mannheim, bis 26.April 1992

Katalog zu allen sechs Ausstellungen: 350 Seiten mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißabbildungen, Edition Braus, Heildelberg, Museumsausgabe (Paperback) 48DM, Buchhandelsausgabe (Hardcover) 98DM