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Rezession ereilt Japans Wirtschaft

Hohe Profitverluste der Elektronik- und Autoindustrie kündigen den Abschied von Nippons Konjunkturwunder an/ Rückläufige Inlandsnachfrage und Strukturprobleme plagen die Konzerne  ■ Aus Tokio Georg Blume

Noch vor Jahresfrist wurde Japan als ein Felsen bewundert, der einer überall grassierenden Rezession standhält. Inzwischen hat die Konjunkturflaute auch Nippons erfolgverwöhnte Industrie ergriffen. Gerade hatte Japans größter Autohersteller Toyota Gewinnverluste über 30 Prozent gemeldet, da belehrte der Vizepräsident des Unternehmens, Shoei Kurihara, die immer noch Ungläubigen: „Was die Leute in den USA und Europa auch immer sagen mögen“, so Kurihara, „Japans Wirtschaft ist zur Zeit nicht sehr gesund.“

Skepsis gegenüber alarmierenden Diagnosen von Nippons Wirtschaftsbossen war in der Vergangenheit immer angebracht. Wer in Tokio von einer Rezession spricht, meint in der Regel Wachstumsraten unter drei Prozent. Doch nun häufen sich die Anzeichen, die auf eine langfristige Trendwende zu geringen Wachstumsraten, vorsichtigen Investitionen und zurückhaltendem Verbraucherverhalten hindeuten: „Die Zeiten explosiven Wachstums in Japan sind vorbei“, prophezeite Kenneth Courtis, Chefökonom der Deutschen Bank in Tokio. Sogar die Regierung konnte sich des anhaltenden Pessismismus nicht länger erwehren: „Die Wirtschaft hat zu schrumpfen begonnen“, räumte erstmals seit 1985 der monatliche Wirtschaftsbericht des Planungsministeriums ein. Gleichwohl betonte die Behörde, die für das von April 1991 bis März des laufenden Finanzjahrs angekündigte Wachstumrate von 3,7 Prozent könne eingehalten werden. Für 1992 werden immerhin noch 3,5 Prozent Wachstum vorausgesagt.

Doch schon lassen die Unternehmensberichte der Großkonzerne Zweifel am Regierungsszenario erkennen. Sony schreckte die Weltpresse auf, als der Elektronikgigant Ende Februar erstmals seit seiner Börsennotierung 1957 rote Zahlen verkünden mußte. Im Finanzjahr 1991 wird Sony Verluste über annähernd 260 Millionen Mark hinzunehmen haben. Auch die anderen Elektronikriesen stehen dem um nicht viel nach: Toshiba meldet Gewinnverluste von 60 Prozent, Hitachi rechnet mit 44, Matsushita mit 28 Prozent. Selbst die fünf führenden japanischen Automobilhersteller müssen durchschnittliche Profiteinbußen von 35 Prozent einstecken.

Alle Konzerne nennen die rezessive Weltwirtschaftslage als ersten Grund für ihre Schwierigkeiten. Doch haben es die Elektronikunternehmen auch mit strukturellen Branchenproblemen zu tun: Seitdem Videorekorder und Kameras die Welt eroberten, fehlt es an neuen Produktideen. Auch der Heimatmarkt Japan ist abgeschöpft: Heute besitzen 80 Prozent der japanischen Haushalte einen Videorekorder. Die japanische Verbraucherelektronik baue auf Hardware-Produkten auf, während die Zukunft bei der Software-Herstellung liege, freute sich John Sculley, Chef des amerikanischen Computerkonkurrenten Apple, bei seinem letzten Japan-Besuch.

Die japanische Automobilbranche muß sich ebenfalls auf gemächlichere Zeiten einrichten. Allein in den achtziger Jahren verdoppelten japanische Hersteller die Produktionszahl ihrer Autos; der Inlandsmarkt legte gar um 80 Prozent zu. „Die 90er Jahre“, so beurteilt ein Londoner Wirtschaftsinstitut die Lage, „werden für die japanische Autoindustrie eine Zeit der Konsolidierung und Restrukturierung sein.“ Toyota- Chef Eiji Toyoda widersprach dem nicht. Schon warnte Nippons legendärer Autoboß seine Arbeiter, sie müßten neue Opfer bringen, um die Profitabilität der Firma zu erhalten. Die hohen Lohnkosten bei anhaltendem Arbeitskräftemangel gelten als größtes Handicap der heimischen Autoindustrie. Im Ausland macht sich Nippons Rezessionstrend bisher nur auf unangenehme Art bemerkbar: Einerseits gehen die vielseits gewünschten Investitionen japanischer Unternehmen im Ausland zurück, andererseits nehmen die von allen Seiten kritisierten Exporte aus Japan wieder zu. Noch vor wenigen Jahren standen japanische Immobilieneinkäufe noch täglich in den Schlagzeilen der US-Presse. Heute ist Japans Jahresinvestitionsvolumen in Amerika im Immobilienbereich von 21,5 Milliarden Mark im Jahr 1990 auf ganze 8,3 Milliarden zusammengeschrumpft. Gleichzeitig aber steigt erneut der japanische Handelsüberschuß. Wie immer, wenn sich zu Hause eine Wirtschaftskrise ankündigt, versuchen die japanischen Unternehmen größere Gewinne im Exportgeschäft zu erzielen. Das Nachlassen der Inlandsnachfrage führte im Januar dazu, daß die japanischen Autoexporte wieder um 6,7 Prozent zulegten. Im abgelaufenen Jahr stieg die Ausfuhr von Autos nach Europa sogar um 11,5 Prozent.

Die japanische Handelsbilanz weist daher erstaunliche Sprünge auf: Allein im Januar stieg Nippons Überschuß um rasante 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 9,8 Milliarden Mark an. Den japanischen Handelspolitikern dürfte dabei schwarz vor Augen geworden sein. „In den letzten drei Jahrzehnten“, bemerkt Kenneth Courtis von der Deutschen Bank, „war Japan in der Lage, mit Exportsteigerungen jede Rezession zu umfahren. Das ist jetzt einfach nicht mehr möglich.“ Damit spielt Courtis auch auf den ständigen Handelsstreit zwischen Japan und dem Westen an. Um der internationalen Schelte zu entgehen, versucht die Tokioter Regierung diesmal frühzeitig einzugreifen: Die Leitzinsen sind aufgrund politischen Drucks auf 4,5 Prozent gefallen; das kommende Haushaltsbudget sieht gewaltige öffentliche Investitionsspritzen vor; ein weiteres Maßnahmenpaket soll die stagnierende Börse beleben. Weshalb denn auch nicht alle schwarz sehen: „Japan“, meint Jesper Koll, Chefökonom des Wertpapierhauses Warburg Securities, „hat die einzige Wirtschaft auf der Welt, die nach der Talfahrt zu einer schnellen Erholung fähig ist.“

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