Nee, Gottfried, so willste nicht werden!

■ Gottfried Böttger, Pianospieler, packt aus: Die Wahrheit über 17 Jahre „III nach Neun“ und die Glatze von Lindenberg

„Plötzlich zieht die ihren Stiftzahn raus und schreit: Huhu, schaut mal, was ich habe!“Fotos: Oberheide

Zu Zeiten von Udo Lindenberg seinem Panikorchester kreuzte er noch als Bordpianist auf der Andrea Doria. Heute ist Gottfried Böttger, 41, ein gemachter Musikus. Seit 17 Jahren spielt er für „III nach Neun“, vor und hinter den Kulissen, die wichtigste Nebenrolle, übrigens als letzter Hinterbliebener der Ur-Besetzung. Seit 17 Jahren also spielt er unfallfrei Klavier in allen Lagen. Der taz erzählte er neulich einfach alles.

taz: Sie sind einer der sieben Menschen auf Erden, die gesehen haben, was unter Lindenbergs Hut ist.

Gottfried Böttger:(lacht) Klar. Anfangs mußten wir ihm ja noch vor jedem Konzert den Scheitel mit braunem Filzstift zumalen.

Alles ist eitel und Haschen nach Wind.

Udo eitel? Der hat das erfunden! Später, als das Malen nicht mehr half, reiste eigens ein Coiffeur mit uns rum, der ihm nach jedem Konzert in rasender Eile eine Perücke unter den Hut praktizierte, damit Udo sich höflich verbeugen konnte. Der kriegte dafür 600 Mark pro Abend!

Jetzt haben Sie ruhigere Zeiten, z.B. einmal im Monat Talkshow. Hört nach 17 Jahren der Ewige Pianospieler noch hin, was die Leute so reden?

Ich muß! Ich improvisiere ja ad hoc, und je nachdem. Wenn ein Gespräch hitzig war, spiel ich ruhig, wenn's trübsinnig war, heiz ich ein. Vor drei Jahren hatten wir mal eine Runde, die war so langweilig, daß ich von selber angefangen hab zu spielen. Alle haben geklatscht.

Immer öfter müssen Sie spielen, wenn's grade spannend wird.

Leider.

Früher wurde der Pianist im Streitfall gerne erschossen. Heute beendet er ihn.

Ja, das fuchst mich oft! Da sprechen mich die Leute oft noch wochenlang drauf an. Ich kann aber nichts dafür. Das Zeichen zum Spielen gibt der Redakteur im Studio.

Welche Balgereien hätten Sie lieber zu Ende erlebt?

Alle. Wenn Leute um Fassung ringen, wird's ja erst interessant. Manchmal gelingt's mir ja selber, für den Eklat zu sorgen. Beispiel: Ende der Siebziger war Roberto Blanco geladen als Simpel des deutschen Schlagers. Da wurde furchtbar seicht und verständnisgierig drumrum geredet, ein einziges Geschleime, und voll auf Robertos Verkaufslinie — bis ich, weil mir der Kragen platzte, quer

hierhin bitte den

freundlichen Mann

mit Geheimratsecken,

der nach rechts

schaut

durchs Studio schrie: „Roberto, kannst du überhaupt 'n Blues singen?“ Da ist der ganz weiß geworden im Rahmen seiner Möglichkeiten und stand auf; alles verstummte, Roberto kam rüber, setzte sich zu mir ans Piano und sagte ganz leise: „Kannst du den St. Louis-Blues?“ Ich spielte den Blues, er sang, seitdem sind wir Freunde.

Sonst noch schöne Erinnerungen an Zoff?

Reichlich. An einen sturzbesoffenen Qualtinger, zum Beispiel, der nicht mehr wußte, wo er war. Aber inzwischen ist die Show

„Plötzlich stürzten lauter Polizisten rein, die MP's im Anschlag. Niemand hat das im Fernsehen mitgekriegt, aber das ganze Studio lag flach, und ich lag hinterm Klavier“

schon ein bißchen ängstlich und brav geworden. Es zirkuliert ja auch nur noch dieses routinierte Talkshow-Ensemble durch alle Sender.

Wenn Sie, sagen wir zum 20. Firmenjubiläum, mal eine ganze Sendung geschenkt kriegen: wie würde die Böttger-Talkshow aussehen?

Ich würde Leute von der Straße reinholen, ruhig auch mal 'n Penner, jedenfalls Leute, die streitfähig sind und gar nicht geschliffen reden; dann würde ich auch die Musik ganz gezielt auf die Themen abstimmen, da hab ich übrigens vor zwei Jahren ein Memorandum zu geschrieben. Kam aber nicht durch. Und ich würde dafür sorgen, daß wieder wie früher unter Leckebusch alles im Studio hockt, Kameras, Mischpulte, auch die Regie, statt daß sie wie die Stimme Gottes von oben aus irgendwelchen Lautsprechern erschallt. Das wird übrigens jetzt wieder diskutiert. Es würde die Lage ungemein entspannen. Heute muß man sich ja sowas von extrasteif machen, wenn man mal in die Talkshow ausgeht.

Was war vor 17 Jahren anders?

Die Sendung war wilder. Lauter Gegensätze, schon allein zwischen den Moderatoren. Marianne Koch, die Frau Doktor aus dem Lore-Roman; dann Wolfgang Menge, der überhebliche Streithahn; und Wocker, der scheinbar von nichts eine Ahnung hatte. Und jedesmal gab es hinterher Schreierei. Wocker wollte nach jeder Sendung aufhören, sieben Jahre lang.

Erst recht, als Lindenberg mal da war.

Ja. Der wurde eingeladen wegen seines Films „Der Detektiv“. Ein unsägliches Machwerk für Tee

nies. Am heftigsten schimpfte vorher Marianne Koch drüber: „Laßt bloß mich das Interview machen! Dem stopf ich mal das Maul!“ Am nächsten Tag Sendung. Auftritt Lindenberg: links der gewaltige Catcher Otto Wanz, rechts Felix, der Zwerg von Lindenberg, der immer vorneweg wieselte. Und Marianne Koch kriegt solche Augen und ist ganz weg. Und säuselt die ganze Zeit den großen Udo an. Wocker kreidebleich in der Ecke; Menge rennt raus und knallt die Tür zu: „Das halt ich nicht aus!“ So wirkt der Udo auf Medienleute.

Was kann sonst alles schiefgehn?

Das Übliche. Leuchten knallen durch und so. Am schlimmsten war's aber in den Siebzigern, als alles so terroristenhysterisch war. Da gab's eine Sendung, die nach außen bloß furchtbar lustig aussah: Fritz Teufel gegen den damaligen Wirtschaftsminister Matthöfer. Der eine mit uraltem Eierfleckenpulli, der andere mit Frack und weißer Fliege. Die beiden kloppen sich planmäßig zum Thema Gutes Benehmen, da holt plötzlich der Teufel eine Pistole raus und legt sie auf den Tisch. Im selben Augenblick stürzen von überall her MP-bewehrte Polizisten ins Studio. Die sah man auf den Bildschirmen nicht, aber das ganze Studio lag flach und ich lag hinterm Piano. Es war aber nur eine Wasserpistole, nur wußten das die Polizisten nicht, die standen da mit der MP im Anschlag, und alle dachten, jetzt ist es aus.

Es ging aber weiter mit der Pistole.

Ja, ganz wunderbar: Teufel drückte ab, und Matthöfer hatte einen riesigen blauen Tintenfleck auf seinem Hemd. Der hat eine ganze Minute gebraucht, bis er

„Die fiesesten Streithähne turteln hinterher, daß man denkt, die essen gleich von einem Teller. Das macht mich fertig, diese Verlogenheit“

seinerseits dem Teufel seinen Wein übern'n Pulli schüttete. Worauf der sich furchtbar empörte, „also Herr Minister!“ und so. Da schaute endlich der Matthöfer an sich herab, und da war gar kein Fleck mehr. Der Teufel hatte Zaubertinte genommen.

Trifft man sich auch nach solchen Shows noch?

Ja, jedes Mal. Da sitzen alle um einen sehr großen Tisch rum und essen Schnittchen; die einen tauschen Adressen aus, die andern giften sich an. Da erlebe ich die verrücktesten Dinge: Leute, die vor der Kamera rumzärtelten, die zischen sich Bosheiten zu, und die fiesesten Streithähne liegen sich hinterher in den Armen, daß man fürchten muß, die essen gleich von einem Teller. Das macht mich manchmal schon fassungslos, diese Verlogenheit. Seit 17 Jahren denk ich mir: Gottfried, so willste nicht werden.

Gab's da auch große Nächte, die man nicht vergißt?

Leider schon lange nicht mehr. Das verläuft sich. Früher, als wir noch offenes Ende hatte, gab's ja auch noch Sendungen, die gar nicht mehr aufhörten. Eine lief bis fünf Uhr morgens. Und sonst...ja, manchmal trifft man sich noch im Sewastopol. (niest)

Gesundheit!

Saudumme Erkältung. Wahrscheinlich eine psychosomatische Geschichte. Das ist mir fast ein bißchen zuviel, daß ich jetzt seit 17 Jahren meine erste Soloschallplatte mache.

Na sowas.

Sozusagen ein Abbild meines musikalischen Werdegangs: von meinem ersten Ragtime bis erstmal zum frühen Swing.

Eine neue Duo-Aufnahme ist schon auf dem Markt. „Böttger plays Mozart“ oder so.

Nicht ganz. Ich spiele da mit meiner Lebensgefährtin Yasmin Schittek. Sie, die klassische Pianistin, spielt Mozart, und ich, der alte Jazzer, improvisiere dazu!

Bestimmt sind Sie schon als Fünfjähriger immer auf'm Klavierhocker geklebt.

Das ist wahr. Mein Vater war, als sehr guter Geiger, sogar mal Konzertmeister im Hamburger Ärzteorchester. Da hatten wir also immer Streichquartette im Haus, und mich hat als Knirps schon ungemein interessiert, rauszukriegen, wie so eine Musik nach lauter kleinen schwarzen Punkten möglich ist. Und mit sechs hab ich meiner Mutter zum Geburtstag selbstkomponierte Variationen über Hänschen Klein geschenkt. Da war die Rührung groß! Und der Junge! Und Klavierunterricht! Sofort! Bei der Gelegenheit

„Früher war die Sendung wilder. Jedesmal gab's hinterher Schreierei“

stellte sich meine zweite große Begabung raus, nämlich mein auditives Gedächtnis: Ich konnte alles nachspielen, was ich einmal gehört hatte. Nach einem halben Jahr rief meine Mutter bei der Lehrerin an und klagte: Also, was ist das, der Junge übt nie! Sagte die Lehrerin: Aber bei mir kann er jedes Stück! Da war's raus, ab dato mußte ich ran. Später kam das Gymnasium, und dann kamen die Beatles, und dann schenkte mir einer aus der Kirchengemeinde eine Ragtime-Platte, und ich dachte: das ist jetzt das Allermodernste, das ist das Wahre für mich. Ich hatte längst heimlich, da war ich vierzehn, alle Titel einstudiert, bis mir einer sagte, daß diese Musik schon fünfzig Jahre vorbei war. War mir dann auch egal. Später hab ich studiert, Physik, Bio, Chemie. Da machte allerdings schon das Onkel Pö in Hamburg auf. Wir gründeten Leinemann, dann die Rentnerband, und dann kam schon Lindenbergs Panikorchester, damit hörte ich praktisch zu studieren auf.

Machen Sie jetzt noch was mit Lindenberg?

Nein, gar nichts. Ich bin vielleicht von der ganzen Crew damals der einzige, der überhaupt noch mit ihm redet. Der Udo ist ein sehr einsamer Mensch.

Warum der Bruch?

Ach, Udo hat viele benutzt für sich, die das nicht wußten, sondern von diesem großen Wir eingenommen waren. Die haben ihm die Enttäuschung sehr übelgenommen. Aber als Pianist sitzt man ja ohnehin etwas abseits und guckt sich das so an. Ich war von vorneherein skeptisch.

Sie sind dann '77 auch ausgestiegen.

Ja, das wurde mir zu langweilig. Immer nur spielen, was vorher eingeübt wurde, und bei jedem neuen Ton schaun dich die Kollegen auf der Bühne verwirrt an...

Eine spezielle Rockmusikerschwäche.

Ja, das war nix für mich.

Es waren aber doch bewegte Zeiten, wie die Legende sagt, oder?

Sehr bewegt. Es gab ja vorher nichts. Roadies und Tourneekultur, das mußte alles praktisch

„Als das noch half, mußten wir unserm Udo den Scheitel täglich mit Filzstift zumalen“

neu erfunden werden. Nicht einmal die Groupies wußten, was richtige Groupies machen. Eine kam mal mit uns zu Udo auf's Zimmer, und wir quatschen grad eifrig über das Konzert, da zieht die plötzlich ihren Stiftzahn raus und schreit: Huhu, schaut mal, was ich habe. Wir nix wie weg, und Udo war am nächsten Morgen noch stocksauer: Wie konntet ihr mich mit der alleine lassen!

Und wie geht's Ihnen jetzt? Haben Sie alle Hände voll zu spielen?

Ja, ich mache Theatermusiken, ich begleite literarische Abende, ich spiele immer noch in Clubs und wahnsinnig gern auf Sessions, ich probiere mit einem Computerflügel rum, übrigens vielleicht bald mal hier im Theater. Ich hab ja den großen Vorteil, monatlich im Fernsehen zu erscheinen. Das zeigt: ich bin da. Deshalb kann ich mir, obwohl ich da nur 750 Mark pro Abend kriege, doch wie sonst nur wenige leisten zu tun, was mir Freude macht. Vor fünfzehn Jahren, als die Plattenfirmen in Hamburg noch jeden nahmen, der auf'm Kamm blasen konnte, da hat mir der Chef von ANR vorgeschlagen, einen auf diesen Parfumpianisten, diesen Richard Clayderman zu machen: „Mensch“, sagte der, „du spielst Klavier, bist blond, siehst so schlecht nicht aus, mach doch so'ne Sülze, da fliegen die Leute drauf!“ Ich machte es nicht und flog aus dem Vertrag.

Nix mit Gottfried Clayderman?

Nee. Und wissen Sie, was mir neulich passiert ist, in Frankfurt auf der Musikmesse? Da will man mich haben für einen Konzertabend nur vor Geschäftsleuten. Da sollen spielen: Gottfried Böttger, Herbie Hancock und — Richard Clayderman! Herbie, seit Jahren mein Freund, war stinksauer: „Gottfried“, sagte er, „mit dem Affen spielen wir nicht!“ Bloß aussteigen ging nicht mehr. Da hatte Herbie die Idee: „Den machen wir fertig!“ Und schon warn wir am Tuscheln. Abends also Konzert, ich auf die Bühne, paar Ragtimes runtergespielt; und plötzlich kommt Herbie, alles glotzt, Herbie setzt sich wortlos an den zweiten Flügel, und dann haben wir losgefetzt... Clayderman, als er nachher reintrottete, war völlig fertig, probierte in der Not ein bißchen Rock, das machte aber seine Kapelle nicht recht mit, Unruhe im Saal, und schließlich machten sie doch ihre alten Kamellen mit „Pour Adeline“ und so. Meine Güte, sind die ausgebuht worden. Am Schluß wieder Herbie, ich wieder mit dabei, und Riesenjubel. Ich stolziere von der Bühne, und wer sitzt unten: Kurt, der Chef von ANR! Na, Kurt, sag ich, wer hat recht behalten? Tja, sagt Kurt, ich glaube, du. Interview: Manfred Dworschak

“Gottfried heißt der Knabe da hint'n am Klavier / Und für jede Nummer Ragtime kricht er 'n Korn und 'n Bier!“